„Global denken, lokal handeln“ – gelebte Praxis in Herrenberg
50 Jahre Weltladen Herrenberg
Herrenberg, 16. März 2024
Es ist mir eine wahre Freude, heute hier zu sein. Wir feiern ein Projekt, das vor 50 Jahren von Herrenberger Bürgerinnen und Bürgern als Engagement für mehr Gerechtigkeit in der Welt ins Leben gerufen wurde.
In den vergangenen fünf Jahrzehnten hat sich ihr Engagement weiterentwickelt, und dies zu feiern erscheint mir gleichermaßen wichtig! Alle Beteiligten im Verein und viele andere Unterstützer haben dazu beigetragen. Dafür möchte ich erst einmal von Herzen Dank sagen.
Vorneweg denke ich dabei natürlich an die ersten Ideengeber und Vereinsgründer: Hildegard und Hans Bühler, Lilian und Albrecht Junginger, Magdalena Hepperle (heute Rau) als erste Vorstandsvorsitzende – ich selber war zweiter Vorsitzender – und an Christel Bergmann und Fritz Bergmann, unseren Kassenwart aus Gültstein.
In den weiteren Jahren prägten Gotthard Döring und Erhard Freitag, Paul Binder und Suse Daniels, Traugott Kappler und Christa Maisenbacher den Vereinsvorstand. Sie alle, auch Christel und Fritz Bergmann und Albrecht Junginger, können heute leider nicht mehr dabei sein. Wir behalten sie in dankbarer Erinnerung.
Frisch und hochmotiviert an der Arbeit ist aber nun der neue Vorstand: Frau Klaus, Frau Ueltzen, Frau Maile und Herr Mertz. Der neue Vorstand hat auch Sie, lieber Michael Kappler, als ein weiteres „Urgestein“ endlich aus vier Jahrzehnten intensivster Vereinsarbeit (seit 1979) erlöst. Und alle hier nun nicht Genannten verzeihen mir bitte die allein der fortschreitenden Zeit geschuldete Auslassung.
Wofür gründeten wir den Verein? Wir wollten zunächst aufklären. Aber – und ich zitiere hier Albrecht Junginger und Hans Bühler aus ihrem Brief an den damaligen Entwicklungsminister Erhard Eppler “nicht allein mit Lichtbildervorträgen und dergleichen“. Wir wollten unsere Ziele auch „durch den Vertrieb von Waren und die Unterstützung konkreter Projekte“ erreichen, also selber aktiv werden, um etwas gegen die Armut in der damals sogenannten „Dritten Welt“ zu tun.
Bei Besuchen habe ich seither mit großer Bewunderung und Freude gesehen, wie sich die ursprüngliche Idee ihren Weg gebahnt hat – bis hin zum Weltladen an der neuen prominenten Adresse direkt am Marktplatz!
Seit 50 Jahren informiert und klärt der Weltladen Herrenberg nun auf über globale Zusammenhänge im Leben der Menschen, in Handel und Politik. Er ist gewachsen und hat reichlich Spenden gesammelt. Aber in dieser Zeit ist noch etwas sehr Wichtiges geschehen:
Im Austausch und Kontakt mit anderen Lebenswelten haben die Vereinsmitglieder auch eigene Perspektiven reflektiert. Und sie haben dazugelernt. Es entstand ein Bewusstsein dafür, dass das Reden von einer „ersten“, „zweiten“ und „dritten“ Welt den wirklichen Zusammenhängen nicht gerecht wird. Tatsächlich gibt es, vor allem durch Armutsmigration, Pandemien und Klimawandel, eine faktische Interdependenz zwischen allen Völkern auf unserem Planeten, die niemand mehr politisch ignorieren kann!
Das heißt, nicht „die anderen“, sondern wir alle müssen uns entwickeln. Wir alle sind aufgerufen, im Großen die internationale Zusammenarbeit und im Persönlichen unsere Denk- und Konsummuster zu verändern. Denn – und das ist die Erkenntnis – wir alle tragen Verantwortung in der „Einen Welt“. Die Umbenennung des „Dritte Welt Ladens“ in „Weltladen“ (2003) spiegelt diese Einsicht wider.
Liebe Vereinsmitglieder, mit Ihren offenen Augen und Herzen geben Sie der großen Politik ein Beispiel für beste bürgerliche Haltung und Tatkraft. Aus der konsequenten zweiten Umbenennung des Trägervereins – von „Partnerschaft Dritte Welt e.V.“ zu „Faire Welt e.V.“ (2022) – spricht eine weitere wichtige Erkenntnis: Es geht um Fairness. Der amerikanische Sozialphilosoph John Rawls definierte mit diesem Begriff die Suche nach Solidarität und sozialer Gerechtigkeit in freiheitlichen Gesellschaften. Mehr Fairness in der Welt ist dringend nötig.
Hoffnung macht, dass sich die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen 2015 auf die Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung einigen konnten und im gleichen Jahr das Pariser Klimaabkommen zustande kam.
Trotz aller Schwächen und Kritik halte ich die Institution der Vereinten Nationen weiterhin für sehr wichtig und unverzichtbar, um Frieden und ein Leben in Würde für alle Menschen auf einer lebensfreundlichen Erde zu erreichen.
Und hier komme ich zur dritten Errungenschaft der 50-jährigen Weltladenarbeit: Von Anfang haben Sie, liebe Vereinsmitglieder, nach einer Wegweisung gehandelt, die der frühere Bundesminister Volker Hauff prägte und die dann 1992 mit der Verabschiedung der Agenda 21 der Vereinten Nationen auch weltweit Schule machte: „Global denken – lokal handeln“.
Mit der Fairtrade-Familie Herrenberg, dem Leitbild Herrenberg 2035 und selbst erarbeiteten Bildungsangeboten bringen Sie, liebe Vereinsmitglieder, heute die aus der Weltladenarbeit gewonnenen Eindrücke und Ideen kreativ und engagiert unter die Leute. Wie erfolgreich Sie damit schon waren, sehen wir auch an der Anwesenheit des Herrn Oberbürgermeister und des Herrn Landrat heute Abend hier im Saal.
Meine Damen und Herren, liebe Vereinsmitglieder, ich danke Ihnen allen von ganzen Herzen für ihr Schaffen und Mühen.
Und ich möchte Sie ermutigen: Machen Sie weiter und zögern Sie nicht, sich auch künftig mit ihren Ideen und ihrer Tatkraft, und auch mit einem gerüttelt Maß an Unerschrockenheit für die Ziele einer fairen Welt einzusetzen. Ich danke Ihnen.