A New Global Partnership: Eradicate Poverty And Transform Economies Through Sustainable Development

Rede zur Vorstellung der Empfehlungen des hochrangigen Beratergremiums des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zur Post-2015 Entwicklungsagenda
Berlin, 14. Juni 2013



Ich freue mich, dass ich Ihnen heute den Bericht des High Level Panels zur Post-2015 Agenda vorstellen darf. Ich gebe gerne zu, dass sich in die Freude auch etwas Erleichterung mischt, denn es waren anstrengende Monate und nicht immer war ich mir sicher, ob wir zu einem einmütigen Ergebnis kommen würden. Tatsächlich glaube und hoffe ich, dass dem Panel ein starkes Dokument gelungen ist, das in der Suche nach Antworten auf die großen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts hilfreich sein kann.

Im Folgenden möchte ich Ihnen einen kurzen Einblick in die Arbeit unseres Panels geben, dann die Schwerpunkte des Berichts vortragen und einige persönliche Anmerkungen dazu machen. Eine Vorbemerkung sei mir gestattet: Die Bundesregierung hatte mir ein sehr professionelles Unterstützungsteam aus dem Entwicklungsministerium, dem Auswärtigen Amt, der KfW und der GIZ an die Seite gestellt, und auch die DEG hat sich eingebracht – dafür möchte ich mich nicht nur bei der Bundesregierung, sondern ganz besonders bei diesen Kolleginnen und Kollegen herzlich bedanken. Die meisten davon sind heute auch hier: Frau Dr. Rödiger-Vorwerk, Frau Dr. Ulbert, Frau Schenk-Dornbusch, Frau Denker, Herr Fritz, Herr Cabani und Herr Proffe – lassen Sie sich doch einmal sehen.

I.

Meine Damen und Herren,

warum sind wir eigentlich hier? Warum hat der VN-Generalsekretär im August letzten Jahres 26 Persönlichkeiten aus aller Welt damit beauftragt, Empfehlungen zur Zukunft der globalen Entwicklungsagenda zu erarbeiten? Ich möchte mit der Gegenüberstellung einiger Zahlen beginnen.

Auf der einen Seite: Damit der Nahrungsbedarf der wachsenden Weltbevölkerung gedeckt werden kann, muss die globale Nahrungsmittelproduktion bis 2050 um bis zu 70% gesteigert werden.

Auf der anderen Seite: Pro Jahr gehen etwa 13 Mio. Hektar Waldfläche verloren, v.a. weil sie in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt werden. Diese Art der Umwandlung der Ökosysteme verschlechtert die globale Ökobilanz massiv.

Auf der einen Seite: 3 Milliarden Menschen weltweit haben immer noch keinen Zugang zu einer Grundversorgung mit Energie.

Auf der anderen Seite: Die weltweite Energieversorgung beruht noch zu über 80% auf umwelt- und klimaschädlichen fossilen Energieträgern.

Auf der einen Seite: 1,2 Milliarden Menschen leben in extremer Armut und haben nur einen Anteil von 1% am Konsum aller Güter und Dienstleistungen.

Auf der anderen Seite: Wenn die Begrenzung der Erderwärmung auf 2 Grad Celsius gelingen soll, dürfen bis 2050 nur noch etwa 750 Milliarden Tonnen CO2 aus fossilen Quellen in die Atmosphäre gelangen. Dieses globale CO2-Budget wäre schon in 25 Jahren aufgebraucht, selbst wenn die Emissionen auf aktuellem Niveau eingefroren werden.

Diese Zahlen machen deutlich, dass wir vor zwei großen globalen Herausforderungen stehen: Auf der einen Seite steht das immer noch skandalöse Ausmaß von Elend und Armut in dieser Welt und das Ziel, allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Auf der anderen Seite stehen die immensen, menschengemachten Bedrohungen unserer Umwelt und das Ziel, die Überlebensfähigkeit unseres Planeten und damit der Menschheit dauerhaft zu erhalten. Beide Ziele zusammenzubringen, eine Agenda „for people and planet“, also für den Menschen und den Planeten zu entwickeln, nichts weniger als diese Herkulesaufgabe hat sich das High Level Panel vorgenommen. Und der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat das Panel gebeten, sowohl „bold“ als auch „practical“ in seinen Empfehlungen zu sein, also sowohl „mutig“ als auch „praktisch“. Eine Quadratur des Kreises?

Meine Damen und Herren,

Das Panel selbst ist eine Meisterleistung proporztechnischer Feinmechanik: 26 Persönlichkeiten aus aller Herren Länder und eine Sondergesandte des VN-Generalsekretärs, 14 Frauen und 13 Männer, Jung und Alt, Politikerinnen und Wissenschaftler, Aktivistinnen, Geschäftsleute und „Freischaffende“ wie ich; und die drei Vorsitzenden kommen jeweils aus einem Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsland! Da ging es in den Diskussionen hoch her. In einer solch vielfältigen Gruppe unter hohem Zeitdruck in wenigen Monaten einen Bericht zur Zukunft der Menschheit zu schreiben, das war nun wahrlich nicht leicht; und natürlich ist wohl auch nicht jedes einzelne Panelmitglied mit jedem einzelnen Detail gleichermaßen einverstanden. Aber zu dem Endergebnis als Ganzes können alle im Panel sagen: Dahinter stehen wir.

Unsere Gruppe war auch ein kleiner Mikrokosmos und hat viele verschiedene Perspektiven zusammengebracht. Wir haben dabei viel voneinander gelernt – ich habe dabei viel gelernt! Sehr beeindruckt hat mich die Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit der Diskussion, gerade auch die Beiträge der Kolleginnen und Kollegen aus Entwicklungs- und Schwellenländern.

Für mich hat die Arbeit im Panel gezeigt, dass es trotz aller Unterschiede und unterschiedlicher Interessen möglich ist, zusammenzufinden und zu einer Übereinstimmung über die Grunderfordernisse für eine bessere Welt zu kommen. Ich teile den optimistischen Grundton des Berichts und verstehe ihn auch als Ermutigung, vor der Größe und Komplexität der Herausforderungen nicht zu resignieren.

II.

Wie haben wir in unserem Panel gearbeitet, wie kamen wir zu einem konsensualen Bericht? In fünf intensiven Sitzungen in New York, London, Monrovia, Bali und wieder New York haben wir gerungen um eine gemeinsame Analyse der Millenniumsentwicklungsziele – was lief gut, was nicht? –, haben über die Grundlagen von Entwicklung debattiert und über Prioritäten für eine neue Agenda heftig gestritten.

Dabei sind wir nicht nur unter uns geblieben, sondern haben zahlreiche Outreach-Veranstaltungen gemacht, in unseren eigenen Ländern und am Rande unserer Sitzungen. Wir haben die Netze weit ausgeworfen in unsere nationalen Gesellschaften und Kulturen; wir haben mit Wissenschaftlern und Jugendorganisationen, mit Vertretern der Kirchen und Gewerkschaften, mit Frauenrechtlerinnen und Behindertenaktivisten und Umweltschützern gesprochen. Es war eine gemeinsame Reise, deren Fahrtenbuch nun als Bericht vorliegt.

In einem zentralen Punkt waren wir im Panel relativ rasch beieinander: dass es möglich ist, die extreme Armut in der Welt zu beseitigen und dass wir dafür einen Weg im Rahmen der ökologischen Grenzen des Planeten finden müssen – und finden können. In zwei besonders produktiven Diskussionen in Monrovia und auf Bali wurde uns klar, dass dies eine tiefgreifende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft in allen Ecken unseres Planeten verlangt, im Süden wie im Norden, im Osten wie im Westen. Wir kamen zu dem Schluss, dass die Post-2015 Agenda eine universelle Agenda sein muss, die sich fünf großen transformativen Veränderungen verschreibt.

Die erste große transformative Veränderung: „Leave no one behind“ – niemand wird zurückgelassen. Damit formulieren wir den Anspruch, extreme Armut endgültig zu beseitigen, in all ihren Formen. Wir wollen gesichert sehen, dass keinem Menschen – unabhängig von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Behinderung, Geografie – die universellen Menschenrechte und ein Mindeststandard des Wohlbefindens verweigert werden. Die Gleichzeitigkeit von extremer Armut und Überfluss in unserer Welt ist ein Skandal, der beendet werden muss – alles andere wäre zynisch und, mit Verlaub, feige!

Natürlich möchte das Panel mit dieser Botschaft auch das klare Signal setzen: Bei allen Diskussionen um die Post-2015 Agenda sollte die Arbeit an den bestehenden MDGs nicht vergessen werden – finish the job! Aber darüber hinaus hat das Panel die Ziele nicht nur ehrgeiziger formuliert als die MDGs, sondern drängt an anderer Stelle auch dazu, extreme Ungleichheiten stärker in den Blick zu nehmen. Es darf nicht mehr nur das Ziel sein, Verbesserungen für eine möglichst große Zahl von Menschen anzustoßen, den Durchschnitt zu verändern, sondern es muss darum gehen, jene zu erreichen, die es am nötigsten haben. Der Panel-Bericht macht sich deshalb unter anderem für eine „Datenrevolution“ stark. Indem in Zukunft die Datenerhebung noch besser nach Einkommensschicht, Geschlecht, Behinderung, Alter und Wohnort differenziert werden soll, lassen sich Politiken besser an den wahren Bedürfnissen der Menschen ausrichten.

Die zweite große transformative Veränderung: „Put Sustainable Development at the Core“ – Nachhaltige Entwicklung als Grundausrichtung der Politik in allen Teilen der Welt verankern. Nachhaltigkeit, oder nachhaltige Entwicklung, schwirrt als politischer Slogan schon seit fast 3 Jahrzehnten durch die Welt – und doch hat es noch kein Land dieser Erde geschafft, seine Konsum- und Produktionsmuster so umzubauen, dass es als zukunftsfähiges Entwicklungsmodell gelten kann. Über 100 Millionen Menschen kommen jährlich zur globalen Mittelklasse hinzu. Welches Leben wollen sie leben? Der kategorische Imperativ von Kant, in unsere Zeit übersetzt, muss doch heißen: Lebe so, dass dein Lebensstil auch von allen anderen 7 Milliarden Menschen auf diesem Planeten übernommen werden könnte. Wenn wir im globalen Norden unser persönliches und politisches Handeln an dieser Maxime messen, dann bleibt nur festzustellen: Anspruch und Wirklichkeit fallen krass auseinander. Zu oft besteht unser Geschäftsmodell für Wachstum im Norden darin, ökologische und soziale Kosten auszulagern, nicht zuletzt in die Schwellen- und Entwicklungsländer. Wenn alle Menschen so lebten wie wir, stünde dieser Planet vor einem Kollaps. Also bleibt uns vernünftigerweise nur, unser Konsumverhalten und unsere Wirtschaftsweise zu ändern. Das ist schon angesichts des ökologischen Fußabdrucks sachlich und politisch unabweisbar. Ich halte die Formel „gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung“ bei der Umsteuerung auf globale Nachhaltigkeit für zielführend, wenn sich die unterschiedlichen Schwerpunkte der Verantwortung wirklich zu einer globalen Agenda zum Vorteil Aller ergänzen.

Zum Beispiel:

  • Die entwickelten Länder müssen bei der Transformation zu Nachhaltigkeit bei Konsum und Produktion und bei der Dekarbonisierung ihrer Energiesysteme glaubwürdige Führung beweisen und den Entwicklungsländern dabei helfen, ihre Entwicklung von vornherein auch auf neue, umweltverträgliche Technologien zu stützen.
  • Die Schwellenländer müssen entsprechend ihrer wachsenden Bedeutung in der Weltwirtschaft mehr internationale Verantwortung übernehmen.
  • Die Entwicklungsländer müssen ihre Anstrengungen für gute Regierungsführung, Bekämpfung der Korruption und Schaffung günstiger Investitionsbedingungen im Inneren verstärken und verstetigen.

Was für all das nötig ist, sind vor allem Aufklärung und Einsicht in die Zusammenhänge, politischer Wille und entsprechendes Handeln: Die Politik muss Anreize setzen für diese strukturelle Transformation; sie darf auch vor Regulierung nicht zurückschrecken, wenn das bedeutet, die Rahmenbedingungen für den Markt so zu gestalten, dass sich ökologisch verantwortbares Wirtschaften lohnt und die Kosten der Umweltverschmutzung nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Das Verursacherprinzip muss global konsequent durchgesetzt werden. Der Panel-Bericht macht deutlich, dass schon heute viele Unternehmen ihren Umgang mit natürlichen Ressourcen überdenken, auch wenn erst etwa 25% aller großen Firmen weltweit zum Thema Nachhaltigkeit Auskunft geben, einschließlich zu sozialen Fragen. Das sollte möglichst zügig zum Standard werden.

Die dritte große transformative Veränderung: „Transform Economies for Jobs and Inclusive Growth“ – eine wirtschaftliche Transformation für Arbeit und inklusives Wachstum.

Das Panel ruft dazu auf, sich nicht mit „jobless growth“ abzufinden und die Nützlichkeit von Wachstum besonders daran zu messen, dass es Einkommen und Arbeit für alle schafft. Bis 2030 wird es weltweit 470 Millionen mehr Menschen als heute geben, die auf den Arbeitsmarkt drängen und nach Perspektiven suchen, vor allem in Afrika und Asien. Ganz besonders betrifft dies natürlich junge Menschen, und deshalb freue ich mich, dass meine Kolleginnen und Kollegen mit mir einig waren, dass wir den Perspektiven der Jugend in der Post-2015 Agenda eine besondere Aufmerksamkeit geben müssen. Als Ansatzpunkte hierfür benennt der Bericht vor allem Bildung und Ausbildung, die Transformation der Volkswirtschaften in Entwicklungsländern auf höhere Produktivitätsniveaus und Wertschöpfungsstufen sowie ein stabiles Umfeld für den privaten Sektor mit Rechtsstaatlichkeit und energischer Bekämpfung von Korruption. In einem Follow-Up zu dem Panel habe ich zusammen mit meiner kenianischen Kollegin, Betty Maina, einen Dialog zu dieser transformativen Veränderung zwischen europäischen und afrikanischen Unternehmern angeregt. Die Konferenz wird noch in diesem Monat mit organisatorischer und finanzieller Unterstützung der DEG in Accra in Ghana stattfinden. Dafür bin ich der DEG dankbar.

Lassen Sie mich zum Thema „Wachstum“ eine persönliche Anmerkung machen, weil die Diskussion im Panel hier zu kurz kam: Bei allem berechtigten und notwendigen Fokus auf Wachstum, insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern, sollte für den globalen Norden gelten: eine krude Wachstumsgläubigkeit kann langfristig unser Wohlergehen nicht sichern, nicht das materielle und nicht das immaterielle. Gerade um nicht eines Tages den Totalabsturz unseres Wohlstandsmodells zu erleben, müssen wir umdenken und zu einer Definition von Wohlstand gelangen, die sich nicht nur auf materielles Wachstum stützt, sondern auch andere Dimensionen von Lebenszufriedenheit berücksichtigt. Ich hoffe sehr, dass der Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ in der kommenden Legislaturperiode zu politikverändernden Schlussfolgerungen in Deutschland beiträgt.

Die vierte große transformative Veränderung: „Build peace and effective, open and accountable institutions“ – Frieden schaffen und leistungsfähige, offene und rechenschaftspflichtige Institutionen stärken. Freiheit von Gewalt und Konflikt ist nicht nur ein grundlegendes Menschenrecht, sondern auch das Fundament, auf dem jeder Wohlstand beruht. Gleichzeitig verlangen viele Menschen weltweit immer lauter nach transparenten Regierungen, die ihren Bürgerinnen und Bürgern Rechenschaft ablegen. Zugang zur Justiz, Freiheit von Diskriminierung und unrechtmäßiger Verfolgung, und gehört zu werden bei Entscheidungen, die die Menschen betreffen – das sind sowohl Entwicklungsziele im eigentlichen Sinne wie auch Voraussetzung dafür, um überhaupt Entwicklung zu erreichen. Der Panel-Bericht lässt keinen Zweifel daran: Frieden und gute Regierungsführung sind kein optionales Extra, sondern Hauptelemente von Wohlstand und Entwicklung.

Über die fünfte große transformative Veränderung, das gebe ich gerne zu, haben wir in der Gruppe besonders lange diskutiert. Sie lautet: „Forge a new Global Partnership“ – eine neue Globale Partnerschaft formen. Wir haben uns gefragt: Brauchen wir nicht ein neues Paradigma für die internationale Politik, brauchen wir nicht ein Leitmotiv für die Post-2015 Agenda, das endlich der starken Interdependenz auf unserem Planeten Rechnung trägt? Unsere Antwort war am Ende eindeutig und einmütig: Ja, wir brauchen einen Paradigmen-Wechsel in der internationalen Politik. Das heißt wir brauchen mehr als nur eine neue oder andere Liste von Entwicklungszielen. Auch weil wir wissen: Am Ende sitzen wir alle in einem Boot, die Starken und die Schwachen, die Reichen und die Armen. Das Panel war sich einig, dass die Post-2015 Agenda von einem neuen Geist der Solidarität, der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen und der gegenseitigen Rechenschaftspflicht getragen sein muss. Das ist nach meiner Einschätzung die in der Tat wichtigste transformative Veränderung. Die neue globale Partnerschaft zielt danach auch auf ein gemeinsames Verständnis des globalen Gemeinwohls und globaler Ethik. Und daraus ergeben sich ganz konkrete Anforderungen an eine Post-2015 Agenda: Nationale Regierungen müssen mit neuem Elan multilaterale Lösungen suchen und ihre nationale Politik unter Berücksichtigung des globalen Gemeinwohls gestalten. Entwicklungspolitik muss aus der Hilfs-Nische kommen und mehr zum Gestalter der globalen Rahmenbedingungen von Entwicklung und Nachhaltigkeit werden. Und alle Beteiligten können zu diesem neuen Geist der Partnerschaft beitragen, auch die Wirtschaft, die Zivilgesellschaft, Stiftungen, internationale Organisationen, die Wissenschaft und die Bürgerinnen und Bürger dieser Welt. Jeder kann seinen Teil dazu leisten, dass die gemeinsame Vision einer Erde ohne Armut und Umweltzerstörung Wirklichkeit wird. Das ist das überwölbende Prinzip, welches die Post-2015 Agenda leiten soll. Und das Panel hat klar gemacht, dass dieses Prinzip zum Beispiel auch der Bekämpfung der Korruption, illegaler Finanzflüsse und Geldwäsche neue Autorität und Nachdruck verschaffen muss.

III.

Vor dem Hintergrund dieser fünf großen transformativen Veränderungen haben wir unsere Prioritäten in einem beispielhaften Katalog von 12 Zielen und 54 so genannten Unterzielen veranschaulicht. Und diese Ziele will ich hier doch noch einmal nennen:

Ziel 1: End poverty – die Armut beseitigen

Ziel 2: Empower girls and women and achieve gender equality – Mädchen und Frauen
befähigen und die Gleichstellung der Geschlechter erreichen

Ziel 3: Provide quality education and life-long learning – gute Bildung und lebenslanges Lernen
ermöglichen

Ziel 4: Ensure healthy lives – Gesundes Leben gewährleisten

Ziel 5: Ensure food security and good nutrition – Ernährungssicherheit und gute Ernährung
gewährleisten

Ziel 6: Achieve universal access to water and sanitation – Universellen Zugang zu Wasser und
Sanitärversorgung schaffen

Ziel 7: Secure sustainable energy – Nachhaltige Energie sicherstellen

Ziel 8: Create jobs, sustainable livelihoods and equitable growth – Arbeitsplätze, nachhaltiges
Auskommen und inklusives Wachstum schaffen

Ziel 9: Manage natural resource assets sustainably – Natürliche Ressourcen nachhaltig nutzen

Ziel 10: Ensure good governance and effective institutions – Gute Regierungsführung und
leistungsfähige Institutionen sicherstellen

Ziel 11: Ensure stable and peaceful societies – Stabile und friedliche Gesellschaften anstreben

Ziel 12: Create a global enabling environment and catalyse long-term finance – Befähigende
globale Rahmenbedingungen schaffen und langfristige Finanzierung für Entwicklung
mobilisieren

Hier wird besonders deutlich: Diese Ziele gelten nicht nur für Entwicklungs- und Schwellenländer, sondern auch für den globalen Norden.

Zu dem 12. Ziel – den globalen Rahmenbedingungen – möchte ich eine kurze Zusatzbemerkung machen. Es hat einige Zeit und intensive Diskussionen gebraucht, bis auch dieses Ziel aufgenommen wurde. Für mich war es ein wichtiger Punkt, um nicht im Business-as-usual einer reinen Aid-Agenda zu landen. Und die wichtigsten Bereiche befähigender globaler Rahmenbedingungen für die Wirtschafts- und Sozialentwicklung sind ein weniger krisenanfälliges und den Erfordernissen der Realwirtschaft dienendes internationales Finanzsystem, ein faires und entwicklungsfreundliches internationales Handelssystem und ein CO2-Regime, das die Gefahren des Klimawandels wirksam eindämmt. Nach meiner Einschätzung befindet sich die Arbeit auf allen diesen drei Baustellen in einem unbefriedigenden, zum Teil besorgniserregenden Zustand. Trotz aller Gipfelbeschlüsse zu einem solchen globalen „enabling environment“ verhindert massiver, oft mit großem Aufwand operierender Lobbyismus und kurzfristig-taktische Politik immer wieder notwendige Veränderungen. Und die großen internationalen Institutionen schaffen leider kein angemessenes Gegengewicht zu diesen Beharrungskräften.

IV.

Ich bin sehr froh, dass das Panel nachdrücklich dafür votiert, die Umsetzung der neuen Agenda einer sorgfältigen, regelmäßigen Überprüfung zu unterziehen und diese Aufgabe den Vereinten Nationen zuordnet. Ich selber habe in diese Diskussion den Vorschlag eingebracht, dem im Bericht genannten hochrangigen politischen Kontrollforum einen Rat sachkundiger und unabhängiger Persönlichkeiten an die Seite zu stellen, der dem internationalen Interesse eine stärkere Stimme gibt. Und ich hoffe, dass der einzurichtende Monitoring-Prozess zu stärkerer Rechenschaftspflicht führt, gerade auch durch Beteiligung der Zivilgesellschaft.

V.

Meine Damen und Herren, so sehr ich diesem Bericht eine möglichst breite und positive Rezeption wünsche, insbesondere in den Regierungszentralen dieser Welt: Das Panel wird weder entscheiden, wie es nach 2015 mit den globalen Entwicklungszielen weitergeht, noch arbeitete diese Gruppe als einziges Gremium an Vorschlägen für die neue Agenda. Schon im September 2011 wurde bei den Vereinten Nationen dazu ein Task Team aufgestellt. Ein weiterer Strang sind die über 60 regionalen und 11 thematischen Konsultationen der VN mit Regierungen, Zivilgesellschaft und anderen beteiligten Akteuren. Gleichzeitig gibt es als Ergebnis der Rio+20-Konferenz die sogenannte Open Working Group, die auf zwischenstaatlicher Ebene an einem neuen Zielsystem arbeitet. Ich kann nur hoffen, dass all diese Prozesse bis 2015 in einen einzigen überzeugenden Entscheidungsprozess münden. Erste Anhaltspunkte hierfür könnte der Bericht von Generalsekretär Ban Ki-moon an die Generalversammlung der Vereinten Nationen im September dieses Jahres enthalten.

VI.

Was bedeutet dieser Bericht nun für Deutschland und die deutsche Politik? Gerne möchte ich dazu fünf persönliche Anmerkungen machen:

Erstens, dieser Bericht und der gesamte Post-2015 Prozess bieten der Weltgemeinschaft aufbauend auf der Millenniumserklärung von 2000 eine große Chance. Er kann die Tür öffnen – zumindest einen Spalt breit – für ein neues Paradigma in der Weltpolitik, ein neues Zeitalter internationaler Kooperation, in dem nationale Souveränität in den Kontext des globalen Gemeinwohls gestellt wird; „responsible sovereignty“ nennen das manche. Oder wie es der indonesische Präsident Yudhoyono gesagt hat: Es gibt jenseits des nationalen Interesses ein gemeinsames internationales Interesse, eine echte universelle Perspektive. – Ich denke, der historische wirtschaftliche und politische Aufstieg der Schwellenländer, die Aufbruchsstimmung auf dem afrikanischen Kontinent, und die neue, tastende ökonomische und soziale Identitätssuche vieler krisengeschüttelter Industrieländer könnte und sollte dieser Perspektive Auftrieb verleihen. Man möchte Che Guevara zurufen: Nicht einfach Solidarität, sondern vielmehr Zusammenarbeit ist die Zärtlichkeit der Völker in der interdependenten Welt des 21. Jahrhunderts.

Ich wünsche mir, dass die deutsche Politik eine aktive und glaubwürdige Rolle bei der Entwicklung dieser neuen globalen Partnerschaft spielt; dass wir unsere Lösungen nicht nur im engeren Sinne auf das Wohl Deutschlands und Europas ausrichten, sondern dieses Anliegen verbinden mit dem Streben nach Frieden, Entwicklung und Erhalt der Schöpfung überall in der Welt. Ich wünsche mir ein Europa, das sich mutig der notwendigen Transformation stellt und auch damit demonstriert, dass das europäische Modell lebt und weiterhin Avantgarde ist.

Das führt mich direkt zu meinem zweiten Punkt. Die Post-2015 Agenda muss eine Agenda für die gesamte deutsche Politik sein, oder anders gesagt: Keiner darf den Fehler machen, dies für ein entwicklungs- und außenpolitisches Programm zu halten, welches nur das BMZ und das Auswärtige Amt tangiert. Wenn man die Empfehlungen des Panel-Berichtes ernst nimmt, dann hat diese Agenda wichtige und grundsätzliche Auswirkungen für alle Politikbereiche. Im Jargon der Paneldiskussion heißt das: Global Partnership and the new agenda is a cross-cutting issue, eine Querschnittsaufgabe. Das ist doch die Botschaft des Panels: Veränderungsbedarf gibt es nicht nur im Süden, Probleme gibt es nicht nur in den Entwicklungs- und Schwellenländern, nein – der Wandel muss vor allem auch in den Industrieländern stattfinden! Und damit ist auch die Liste der deutschen Hausaufgaben lang. Ich nenne Beispiele: Verfolgen wir mit Mut und neuem Elan eine Energiepolitik, die die Energieeinsparungen vervielfacht und die sich von CO2-intensiven Energieträgern konsequent verabschiedet. Lassen wir den Irrsinn nicht länger zu, dass täglich Unmengen von vollwertigen Nahrungsmitteln bei uns auf der Müllhalde landen. Überprüfen wir auch als Individuen – unverkrampft – unsere Konsumgewohnheiten in ihren Auswirkungen auf andere, die Umwelt und uns selbst. Entwickeln wir kraftvoll neue Mobilitätskonzepte. Machen wir endlich eine europäische Agrarpolitik, die es Entwicklungsländern nicht erschwert, ihre Nahrungsmittelproduktion auf eigene Beine zu stellen; machen wir ernst mit einer Handelspolitik Europas, die den Entwicklungsländern den Aufbau einer diversifizierten Wirtschaft erleichtert. In diesem Zusammenhang sage ich gerne, dass ich die Überlegungen zu einer transatlantischen Freihandelszone begrüße – ich wünschte mir aber noch viel mehr politisches Kapital, das in den Abschluss eines fairen und entwicklungsfreundlichen internationalen Handelssystems investiert wird. In jedem Fall darf eine transatlantische Freihandelszone nicht zum Nachteil von Entwicklungsländern geraten.

Mein dritter Hinweis: Vor dem Aufstieg der Schwellenländer sollte uns nicht bange sein. Zunächst muss man feststellen: Dass das MDG 1, also die Halbierung des Anteils der Armen, allem Anschein nach schon jetzt wohl erreicht wird, das ist in erster Linie den Schwellenländern zu verdanken. Es ist in der Geschichte der Menschheit einmalig, welche Fortschritte etwa in China oder Brasilien bei der Armutsbekämpfung gemacht wurden. Das sollte auch uns freuen! Natürlich stellen diese Fortschritte auch die althergebrachten Weltwirtschaftsstrukturen in Frage. Schon 2020, so schätzt es der neue Human Development Report, werden die drei größten Schwellenländer, Brasilien, China und Indien zusammen einen größeren wirtschaftlichen Output haben als Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien und die Vereinigten Staaten. Ich glaube, dass dies für unsere deutsche Wirtschaft, die für ihre Leistungs- und Innovationsfähigkeit bekannt ist, zu einem neuen Vorteil wachsen kann. Wo in anderen Staaten die Realwirtschaft wächst, wo die Industrialisierung vorangetrieben wird, da werden deutsche Ausrüstungen, Maschinen, deutsches Know-how für komplexe Lösungen gebraucht. Und ich kenne kein Land, das die Kompetenz der Deutschen insbesondere in den grünen Technologien anzweifelt. Diesen guten Ruf können und sollten wir nutzen. Meine große Hoffnung ist daher, dass sich beim Aufbau von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen in den Entwicklungs- und Schwellenländern auch der deutsche industrielle Mittelstand, mit seinem sozial verantwortlichen und lokal verwurzelten unternehmerischen Handeln, verstärkt engagiert.

Ideen und Köpfe sind ganz entscheidend für den Entwicklungserfolg einer jeden Gesellschaft, und das bringt mich zu meiner vierten Anmerkung. Bildung und Ausbildung müssen weltweit höchste Priorität erhalten, das hat auch der Panel-Bericht deutlich gemacht. Was können wir aus Deutschland dazu beitragen? Ich glaube, dass wir hier vor allem mit unseren deutschen Erfahrungen im beruflichen Ausbildungswesen wertvolle Unterstützung leisten können. Unserem dualen Ausbildungssystem eilt weltweit der Ruf voraus, exzellente Facharbeiter hervorzubringen, die sowohl das nötige theoretische Wissen wie auch die in den Unternehmen erforderten Praxiskenntnisse haben. Ein großes Gemeinschaftswerk der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Berufsausbildung in Entwicklungsländern – zusammen mit der Bundesregierung, den Bundesländern, den Kammern, den Verbänden, dem Senior Expert Service – wäre auch eine große Investition in Wachstum und Beschäftigung bei uns!

Meine fünfte Anmerkung richtet sich an die deutsche Zivilgesellschaft, und ein Blick auf die Teilnehmerliste hat mir gezeigt, dass Sie auch heute zahlreich gekommen sind. Lassen Sie mich zunächst sagen: In meinen Treffen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in diesem vergangenem Jahr, aber auch durch die vielen Zuschriften, die ich erhalten habe, habe ich viel Neues erfahren und wichtige Impulse erhalten. Und ich freue mich, dass auch der gesamte Panelprozess der Beteiligung und der Stimme der Zivilgesellschaft breiten Raum gegeben hat. Wir brauchen eine lebendige Zivilgesellschaft, in den verschiedenen Ländern, aber auch auf globaler Ebene. Ihre Ideen, Ihre Möglichkeiten, Menschen zu inspirieren und zu mobilisieren, und Ihr Beitrag zu diesem wichtigen Bewusstsein, dass wir in einer Welt leben, sind unverzichtbar für eine neue Politik. Wobei ich genauso deutlich sage: zivilgesellschaftliche Beteiligung und Initiativen können kein Ersatz sein für einen neuen Geist der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen und entsprechende politische Führung.

Und die neue Agenda, wie sie der Panel-Bericht skizziert, erfordert auch in der organisierten Zivilgesellschaft ein Umdenken und Umsteuern: Auch hier gibt es noch viel zu viele Silos, gibt es die Umwelt-Organisationen auf der einen, und die Entwicklungsorganisationen auf der anderen Seite. Ich würde mir wünschen, dass der neue Geist der Partnerschaft auch frischen Wind in die deutsche NGO-Welt bringt.

VII.

Meine Damen und Herren,

auf dem Friedhof vergessener VN-Berichte ruht so mancher Papiertiger, der einen schnellen Tod gestorben ist, sobald die Tinte trocken war. Ich wünsche mir sehr, dass es diesem Bericht anders ergeht. Er hat sicherlich nicht alle Antworten. Aber ich hoffe, dass er eine Debatte anstößt über Werte und Zusammenarbeit auf diesem Planeten. Was wäre, wenn er tatsächlich weltweit eine Diskussion auslösen würde, wie wir unser gemeinsames Schicksal gestalten wollen? Wenn sich Regierungen einen Ruck gäben, sich aktiv in den Post-2015-Prozess einzubringen, mit dem Ziel, Zukunftsgestaltung „for people and planet“ über Legislaturperioden hinweg anzupacken?

Ich glaube, dass der Schlüssel für einen erfolgreichen Post-2015-Prozess in einem schlichten Sachverhalt verborgen liegt: Vertrauen. Vielleicht ist das die am meisten vernachlässigte Ressource der internationalen Politik. Es ist in jedem Fall eine unabdingbare Voraussetzung für produktive Zusammenarbeit und die Chance, gemeinsam Probleme zu lösen. Keine wirkliche Partnerschaft ohne Vertrauen! Um Vertrauen zu stärken, braucht es freilich Glaubwürdigkeit, also eine Übereinstimmung zwischen Worten und Taten und ein Umgang mit den anderen, der auch vom Bewusstsein der eigenen Unvollkommenheit geprägt ist. Schon die Diskussion um die neue Agenda sollte vertrauensbildend wirken.

Ich möchte abschließend meine Kollegin aus dem Panel, Tawakkol Karman, mutige Bürgerrechtlerin aus dem Jemen und Friedensnobelpreisträgerin, zitieren, die in ihrer Rede zur Übergabe des Berichts an Generalsekretär Ban Ki-moon sagte: „Die Regierungen der Welt werden sich nun entscheiden müssen, ob sie dieses neue Paradigma umsetzen wollen. Die Versuchung, den bequemeren, konventionellen Weg zu gehen, wird groß sein.“

Wir können alle etwas dafür tun, dass es dieser Versuchung nicht leicht gemacht wird.