Anmerkungen bei der Verleihung des Steiger Award

Erwiderung auf die Laudatio von Henning Mankell bei der Verleihung des Steiger Award
Bochum, 17. März 2012



Das Schöne bei Freunden ist: Man weiß, dass deren Lob genauso wie deren Kritik von Herzen kommt. Darum geht einem auch beides besonders zu Herzen. Lieber Henning, ich danke ich Dir herzlich für Deine Worte.

Henning Mankell und ich, wir kennen uns seit vielen Jahren. Er lebt zur Hälfte in Afrika, genauer in Maputo, der Hauptstadt von Mosambik. Natürlich habe ich einige seiner Wallander-Bücher gelesen. Noch mehr gefesselt haben mich aber seine Romane, die in Afrika spielen. Durch diese Werke zieht sich wie ein roter Faden der Respekt vor den Menschen in Afrika und ihrer Würde. Ich habe mich deshalb auch sehr gefreut, dass Henning Mankell mich bei meinem Afrika-Forum treu und inspirierend begleitete. Es war unser beider Anliegen, „Brücken zu bauen“, wie es in der Begründung für den diesjährigen Steiger-Preis in der Kategorie „Toleranz“ heißt.

Aus diesem Anlass möchte ich als Erwiderung kurz einige Anmerkungen zum Begriff der Toleranz machen und was er für das Verhältnis von Europäern und Afrikanern bedeutet. Denn einerseits scheint mir der Begriff „Toleranz“ einer der so inflationär gebrauchten wie missverstandenen Begriffe unserer Zeit. Und andererseits kann man ohne ihn keine Brücken zwischen Menschen bauen, in Europa nicht und nicht in Afrika und schon gar nicht zwischen beiden Kontinenten.

Wissen Sie, wer „tollerantz“ mit zwei „l“ und „tz“ den Weg in unsere deutsche Sprache geebnet hat? Nun, kein geringerer als Martin Luther. Ausgerechnet der Wittenberger Reformator, dem nicht Brückenbau, sondern die Spaltung seiner Kirche vorgeworfen wurde, weil er sich mit dem Papst als dem obersten Pontifex, dem obersten Brückenbauer, anlegte. Und ausgerechnet dieser Augustinermönch prägt das, was man ihm nicht gewähren wollte: Toleranz.

Dabei war Toleranz für ihn das Gegenteil von Gleichgültigkeit. Wenn mir gleichgültig ist, wie andere leben, wenn mir egal ist, was ihnen wichtig ist oder was sie glauben, dann bin ich gerade nicht tolerant, sondern höchst indifferent, zu deutsch „gleichgültig“. Indifferenz war für Luther kein positiv besetzter Begriff, im Gegenteil: Wenn jede Meinung, jede Haltung gleich-gültig ist, dann ist sie letztlich völlig gleichgültig, d.h. ich habe auch keinen Grund mehr, sie zu verstehen oder mich ernstlich mit ihr auseinanderzusetzen. Dann sind mir auch meine Mitmenschen, die sie äußern, gleichgültig, und ich brauche mich nicht weiter um diese zu scheren. Sie werden mir egal.

Tolerant sein ist für Luther das genaue Gegenteil dieser Haltung: Toleranz, vom lateinischen tolerare, meint, die Meinung, die Haltung, die Überzeugungen meines Gegenüber zu erdulden, zu ertragen, auch wenn sie den meinen diametral gegenüberstehen. Dies setzt voraus, dass ich mich mit dem anderen auseinandersetze, mit seinen Meinungen ringe. Erdulden kann ich sie aus Luthers Sicht nur darum, weil ich mit meiner Meinung und meinen Fehlern von Gott selbst und meinen Mitmenschen ertragen und getragen werde.

Dieser Gedanke, dass echte Toleranz das Gegenteil von Indifferenz, von Gleichgültigkeit ist, scheint mir das Fundament, auf dem unser Zusammenleben und damit auch jede tragfähige Brücke zwischen Afrikanern und Europa errichtet werden sollte.

Auch ich selbst habe neben so vielen Positivem in meinen Begegnungen in Afrika und Europa als durchgängiges Problem wahrgenommen, dass man einander letztlich nicht ernst genug nahm und sich allzu oft von Vorurteilen leiten ließ, die zwar manchmal auch ein Fünkchen Wahrheit in sich tragen und diese überspitzen, aber mir damit erlauben, mein gegenüber in eine Schublade zu packen. Das ist einfacher als tolerieren, ertragen, erdulden, weil dann schnell alles klar und im Ergebnis dann auch alles egal ist.

Wie oft hörte ich in westlichen Diskussionen, wie schlecht „die Afrikaner“ mit „unserem“ Geld umgehen. Wie oft hörte ich von Afrikanern, wie aufgeschlossen, lustig und tolerant doch Henning Mankell ist, wie „zugeknöpft, engstirnig, humorlos, paternalistisch aber die meisten anderen Europäer.“ Wer so denkt, der hat keinen guten Grund mehr, Brücken zu bauen. Denn er sieht gar nicht genug, das sich verbinden ließe.

Wer in seiner Geisteshaltung tolerant denkt und in seinem Leben Toleranz übt, der wird eher in der Lage sein, andere zu verstehen, eben weil er dies möchte, weil er interessiert an ihnen ist. Brücken von und nach Afrika und Europa überbrücken mehr als die Entfernung von Gibraltar nach Tanger; sie überbrücken Gleichgültigkeit in unseren Köpfen, die soweit geht, dass uns beinahe egal ist, wie viel Menschen zwischen Afrika und Europa pro Jahr im Mittelmeer ertrinken.

Ich würde mir wünschen, dass wir alle ein wenig offener, toleranter als Europäer, Afrikaner oder einfach als Mitmenschen werden, auch dann oder gerade dann, wenn es schwerfällt. Denn wenn ich mich bemühe, auf andere zuzugehen, sie zu verstehen, werde ich mehr Verbindendes als Trennendes sehen, so dass sich eine Brücke für beide Seiten lohnt und am Ende trägt.

Darum freue ich mich über den Steigerpreis für Toleranz und nehme ihn entgegen als Ansporn, an diesen Brücken mit Henning Mankell und Ihnen allen weiter zu bauen. Danke den Veranstaltern, die mit diesem Preis ein Forum eröffnen, gemeinsam an dieser Toleranz zu arbeiten und ihr ein Forum gibt, das keinen Raum lässt für Gleichgültigkeit.

Danke für ihre Aufmerksamkeit und Toleranz.