Der Weg zur Nachhaltigkeit ist unser aller Weg

Future Sustainability Congress 2019
Hamburg, 19. November 2019



I.
Danke an alle, die diesen beeindruckenden Kongress auf die Beine gestellt haben – allen voran die „Schutzgemeinschaft Deutscher Wald“ und die „Regionalen Netzstellen Nachaltigkeitsstrategien Nord“. Ich freue mich über so viel Wissen und Ideen in einem Saal, weil wir – darauf komme ich später zurück – in einem Suchprozess sind über den besten Weg zur „Future Sustainability“.
Im Kern ist Nachhaltigkeit ein schon lange bekanntes Prinzip: Vorsorgen und nicht an die Substanz gehen. Carl von Carlowitz, der deutsche Ahnherr des Begriffs, hat schon vor über 300 Jahren die „continuirlich beständige und nachhaltende Nutzung“ des Waldes angemahnt. Denn dem drohte damals im Erzgebirge der Kollaps; der Bergbau verschlang Unmengen von Holz für den Bau der Gruben und zum Betrieb der Schmelzöfen. Soll also keiner sagen, es hätte nicht schon vor dem Industriezeitalter Spannungen gegeben zwischen ökonomischer und ökologischer Rationalität.
Man möchte ja nun als Redner immer gern etwas sagen, was noch nicht oder was so noch nicht gesagt wurde. Beim Thema „Nachhaltigkeit“ ist das in mehrfacher Hinsicht zum Haare raufen. Bei der Vorbereitung dieser Rede fiel mir der Titel des Time Magazine von Januar 1989 in die Hände. Auf dem Titelbild eine in Plastik verpackte, gefesselte Erdkugel. „What on Earth Are We Doing?“ fragte damals, vor 30 Jahren, der Autor und prophezeite: „Was jene tun, die jetzt leben, wird über die Zukunft entscheiden, und vielleicht sogar über das Überleben der Gattung Mensch“. Und, was taten jene? In den letzten 30 Jahren wurden mehr Treibhausgase freigesetzt als seit Beginn der industriellen Revolution zusammen. Und 30 Jahre nach der Frage des Time Magazine muss dieser Kongress noch immer die Frage stellen: „Wie setzen wir den Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft in Gang?“
Dabei ist klar: Eine Transformation wird kommen, so oder so – als politischer Aufbruch oder als politisches Debakel, „by design or by disaster“. Und klar ist auch, dass wir schon viel Zeit verloren haben. Ich stelle meine Anmerkungen deshalb unter drei Überschriften. Erstens: Wir brauchen für die unumgängliche Transformation mehr Dringlichkeit – „sense of urgency“. Zweitens: Wir müssen der Transformation inhaltlich und zeitlich klare Ziele setzen – „sense of mission“. Und drittens: Wir können Hoffnung haben, weil der Transformationsprozess bereits begonnen hat – „sense of hope“. Und ich beginne mit dem Umstand, der mir besondere Hoffnung gibt: Die Jugend.
II.
Der erwähnte Time-Magazine-Artikel von 1989 endet mit den Worten: „Das schulden wir nicht nur uns selbst und unseren Kindern, sondern auch den ungeborenen Generationen, die eines Tages die Erde erben werden.“ Wie oft wurden sie seither in Reden beschworen!
Und nun sind sie auf einmal tatsächlich da, die damals noch Ungeborenen. Sie sind keine Metapher mehr, sie haben Gesichter, wie das von Greta Thunberg und das der Millionen Jugendlichen von „Fridays for future“ rund um die Welt. Sie gehen auf die Straße, weil sie ihre Zukunft bedroht sehen von etwas, wozu sie nicht beigetragen haben. Sie fürchten zu Recht, dass ihnen die Freiheitgrade der Eltern-Generation nicht mehr offen stehen werden. Sie wollen etwas sehr Konservatives: die Bewahrung der Schöpfung. Ich freue mich über diese Entwicklung. Und darüber, wie viele Unterstützer die „Fridays“ inzwischen haben, von den „Scientists for future“ über die „parents“, die „artists“, „churches“, „entrepreneurs“, „farmers“ bis zu den „students for future“ – für Vollständigkeit übernehme ich keine Gewähr! Sie alle wollen, dass ihre Regierungen so handeln, wie sie es schon viel zu lange versprechen. Und bemerkenswert ist, dass die Jugendbewegung und ihre Unterstützer dabei sagen: „Follow the science“, nehmt die Wissenschaft ernst. Die Chaoten, die Verleugner und die Unwissenden sitzen also woanders.
III.
Die Fakten sind bekannt. Immer eindeutiger ist der globale Temperaturanstieg von Menschen gemacht – der letzte IPCC-Sachstandsbericht bezifferte die Wahrscheinlichkeit auf über 95 Prozent. Und immer mehr Klimaforscher kommen zu der Erkenntnis, dass selbst sie Tempo und Folgen der globalen Erwärmung unterschätzt haben. Die arktischen Permafrostböden etwa beginnen schon jetzt zu tauen statt wie angenommen erst Ende des Jahrhunderts. Das muss alle schaudern lassen, die um die gefürchteten Kipp-Punkte wissen, die – einmal überschritten – zu unumkehrbaren Veränderungen im Klimasystem führen können. Laut gerade erschienenem Weltnachhaltigkeitsbericht der Vereinten Nationen sind bereits drei Viertel aller Ökosysteme geschädigt oder gar in Gefahr zu kollabieren. Schon heute wirkt der Klimawandel als Brandbeschleuniger für Krisen und Konflikte. Und schon heute trifft er diejenigen am härtesten, die am wenigsten dazu beigetragen haben: die Nomaden der Sahelzone, die Bewohner der Pazifikinseln oder die Bauern in den Anden. Am selben Tag, an dem Präsident Trump den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen verkündete, warnten 11.000 Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „BioScience“ vor einem weltweitem Klimanotstand und „unsäglichem menschlichen Leid“.
Und dennoch ist kein einziger der G-20-Staaten – zusammengenommen verantwortlich für 80 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen – auf Kurs zum 1,5-Grad-Ziel. Derzeit steuert die Welt wohl auf 3 bis 4 Grad Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts zu. Auch Deutschland wird seine Klimaziele nach jetzigem Stand klar verfehlen.
Der Bundestag hat zwar in der vergangenen Woche ein Klimaschutzgesetz beschlossen. Das ist zu begrüßen, vor allem der Einstieg in einen CO-2-Preis. Doch ich glaube, alle Beteiligten wissen, dass dieses Gesetz bei weitem nicht ausreicht. Es braucht einen klareren Richtungswechsel, und ich hoffe, dass schon jetzt am nächsten Klimaschutzgesetz gearbeitet wird. Denn Mutlosigkeit, so fürchte ich, könnte am Ende unsere Demokratie beschädigen, und zwar weit mehr, als es radikale Randgruppen anrichten könnten. Mutlosigkeit untergräbt das Vertrauen in die Fähigkeit demokratischer Politik, angemessen auf eine Bedrohung zu reagieren, die zeitlich weit über eine Legislaturperiode hinausreicht. Die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge der Erderwärmung verlangen von Regierungen, sich an ganz neuen Arten von Budgets und Deadlines messen zu lassen. Das ist die Realität von heute. Tatsächlich wird die in der Politik so beliebte Methode des Zeit-Kaufens zum Problem. Andere haben es vor mir gesagt, und auch ich wiederhole mich: „Mit dem Klima kann man keinen Aufschub verhandeln“.
Wie ich in einem verdienstvollen, von der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Zentrum Liberale Moderne herausgegebenem Buch lese („Soziale Marktwirtschaft ökologisch erneuern“), wird dieser Satz dort als „anti-politisch“ oder gar „anti-demokratisch“ qualifiziert. Und es wird gefragt, ob Freiheit nun „auf die Einsicht in die ökologische Notwendigkeit“ zusammenschnurrt. Um es klar zu sagen: diese Angst teile ich nicht. Meine Sorge ist eine andere: dass Emissionen, die heute nicht vermieden werden, morgen nicht mehr zurückgeholt werden können – mit irreversiblen Konsequenzen für das Klima und die Artenvielfalt unseres Planeten. Das bringt die zu Recht gerühmte Fähigkeit der Demokratie zur Selbstkorrektur an eine Grenze. Denn keine spätere Mehrheit wird die Entscheidung der heutigen korrigieren können. „Verschieben ist verschärfen“ (Bernd Ullrich in der ZEIT).
Alle demokratische Fähigkeit zur Selbstkorrektur wird wenig ausrichten können, sollte der Klimawandel durch Nicht-Handeln unbeherrschbar werden. Einsicht in die ökologische Notwendigkeit tut genau deshalb not. Denn die Freiheit, Treibhausgase zu emittieren, die wir uns mit unserem Lebensstil in der Vergangenheit genommen haben, sie beschränkt ja schon heute die Freiheit und das Leben anderer – nur dass diese „anderen“ weit weg in anderen Teilen der Welt leben. Langfristig aber ist unser aller Freiheit bedroht. Denn wie frei könnten unsere Kinder und Enkelkinder in einer Welt leben, in der Städte versinken, Extremwetter die Regel sind und hunderte Millionen Klimaflüchtlinge einen neuen Platz zum Leben suchen?
Allein in Afrika wird sich die Bevölkerung bis 2050 verdoppeln, auf dann zweieinhalb Milliarden Menschen. Dort herrscht enormer Nachholbedarf nach all dem, was ein Leben in Würde ermöglicht. Aber von welcher ökologischen Substanz soll sich das dringend nötige Wachstum dort nähren, wo schon jetzt die gemeinsame Biosphäre überstrapaziert ist? Welche Antworten geben wir auf die drängender werdenden Fragen nach Gerechtigkeit und Verantwortung, weil der so selbstverständliche Lebensstil in den industrialisierten Nationen darauf beruht, dass wir uns mehr nehmen, als uns im globalen Maßstab zusteht? Die CO-2-Emissionen pro Kopf betragen zum Beispiel heute für Deutschland 9 Tonnen, für Indien 1,5 Tonnen und für Afrika weniger als eine halbe Tonne – in den USA sind es 16,5 Tonnen. Müssen wir nicht längst reflektieren, was unser Freiheitsverständnis – verbunden mit unserem Lebensstil – für andere bedeutet? Der in den USA lehrende und aus Bayern stammende Philosoph Vittorio Hösle hat dies auch als ethische Frage aufgeworfen. Er sagt: „Da die Universalisierbarkeit das Prinzip der modernen Ethik ist, besagt die Einsicht, dass unser Lebensstil nicht universalisierbar ist, nach den eigenen Maßstäben der Moderne nichts anderes, als dass er unmoralisch ist“.
IV.
Die größte Regierungspartei der Bundesregierung hat im letzten Wahlkampf mit der Parole geworben: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. Und ich glaube, wir sind diesem Zustand heute in Deutschland so nah wie nie zuvor. Gut so. Aber wie lange noch? Mir fiel in diesem Zusammenhang spontan der berühmte Satz von Prinz Tancredi in Lampedusas Roman „Der Leopard“ ein: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, dann ist nötig, dass alles sich verändert“. Meine Sorge ist, dass wir bei allem derzeitigen Gut-gehen übersehen, wie rasant der Wandel in der Welt ist, wie groß die Herausforderungen sind, wie schnell andere Nationen aufholen, wie wenig Deutschland die Fähigkeit zur Innovation gepachtet hat, und wie wenig schon begriffen wird, dass Future Sustainability nicht mit „business as usual“ erreicht werden kann.
Ich wünsche mir so etwas wie einen Sputnik-Moment, wie ihn die USA erlebten, als der russische Satellit im Orbit kreiste. Amerika hat sich damals zur Apollo-Mission zusammengeschlossen und einen Traum der Menschheit wahr gemacht: die Landung auf dem Mond. Unsere Mission muss heute sein: die Errungenschaften der fossilen Ära zukunftstauglich machen; sie auch all jenen Menschen zugutekommen lassen, die heute noch nicht davon profitieren; und mit dem Umbau zur Nachhaltigkeit dafür sorgen, dass unser Planet nicht zerstört wird. Eine riesige Aufgabe, Komplexitäten en masse. Das gebe ich zu. Aber verschieben können wir uns nicht mehr leisten. Lassen Sie mich kurz skizzieren, wo ich die wichtigsten Ansatzpunkte für Deutschland, Europa und in der internationalen Zusammenarbeit sehe.
Erstens: Die Zukunftsaufgabe für Deutschland lautet: das Erfolgsmodell der Sozialen Marktwirtschaft zu einer Ökologisch-Sozialen Marktwirtschaft umbauen – und dabei beides, Ökologisch wie Sozial, groß geschrieben! Die wichtigste Stellschraube dafür ist ein wirkungsvoller Preis auf CO-2. Zu einer vorausschauenden Ordnungspolitik, und das sage ich klar als Marktwirtschaftler, gehören für mich aber auch Anreize, Terminsetzungen und – wo nötig – Verbote. Der große John Maynard Keynes hat das einmal so gesagt: Es ist am Staat, „die Entscheidungen zu treffen, die niemand trifft, wenn der Staat sie nicht trifft“ – (übrigens in einer Rede an der Berliner Universität 1926). Und immer mehr Unternehmen fordern ja klare Vorgaben, damit sie ihre Investitionen langfristig auf Nachhaltigkeit ausrichten und so auch international wettbewerbsfähig bleiben können. So lese ich etwa die Aufforderung der Unternehmerstiftung „2 Grad“ nach „klaren klimapolitischen Leitplanken“ und einer CO-2 -Bepreisung als Leitinstrument.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns einmal träumen: Die Bundesregierung legt eine gesetzliche Verpflichtung zur vollständigen Dekarbonisierung bis 2050 fest. Sie stützt dies vor allem auf einen klaren ansteigenden Preispfad für Treibhausgas-Emissionen. Und sie nutzt zugleich die historisch günstigen Finanzierungsbedingungen für eine massive Stärkung öffentlicher und privater Investitionen. Denn die große Aufgabe heißt doch: Städte, Mobilität, Energieversorgung, Produkte und Produktionsverfahren auf die karbon-arme Gesellschaft und Wirtschaft umzustellen. Das alles verlangt viele, viele Investitionen, nicht zuletzt auch in Bildung, Forschung und Entwicklung. Ich glaube, der Traum kann Wirklichkeit werden. Mich ermutigt jedenfalls, dass derzeit gleich aus mehreren politischen Lagern die Idee einer Investitionswende in Deutschland kommt. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat gestern gemeinsam mit dem gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie einen großen Investitionsfonds angeregt. Auch die Grünen haben diesem Thema gerade auf ihrem Parteitag große Bedeutung beigemessen.
Zweitens muss auch in Europa alles klar auf den Umbau zur Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Wie es aussieht, gibt es hierfür in Brüssel neue Ideen. Die in London lehrende Ökonomin Mariana Mazzucato hat etwa vorgeschlagen, für den geplanten 100 Milliarden Euro schweren Forschungsrahmen „Horizon Europe“ künftig konkrete Missionen mit klaren Deadlines zu definieren, als Beispiel nennt sie „100 CO-2-neutrale Städte bis 2030“. Ich hoffe, dass solche inspirierenden Ideen dann auch in die Umsetzung gelangen. Ein weiteres erfreuliches Zeichen ist, dass die Europäische Investitionsbank vor wenigen Tagen verkündet hat, ab 2022 aus der Finanzierung fossiler Kraftwerke auszusteigen. Und ja, stellen wir uns hinter die Vision von Ursula von der Leyen: „Wir können und müssen es schaffen, dass Europa der erste klimaneutrale Kontinent wird“. Das ist für mich die Mission „European Green Deal“.
Drittens: Kein Land kann sich mehr gegen die Folgen von extremen Ungleichheiten, Klimawandel, Epidemien, Kriegen oder Flüchtlingskatastrophen abschotten. Umso wichtiger ist die Einsicht der Politik, dass wir diese Probleme in unserer interdependenten Welt gemeinsam angehen müssen. Mit der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und dem Pariser Klimaabkommen sind die Foren dafür da. Gerade Europa sollte sie nutzen, Führungswillen demonstrieren und auch damit eine Gegenerzählung zu dem gegenwärtigen Ausbruch globaler Fliehkräfte formulieren. Die UN Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen ist für mich der strategische Rahmen für eine Politik, die die Welt zusammenhält. Sie formuliert kein Aufholprogramm für rückständige Entwicklungsländer, sondern eine Transformationsagenda für alle Staaten, im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen. Sie stellt im Grunde auch eine gemeinsame Wertebasis für alle Länder dieser Welt dar.
Wir in Europa müssen dabei Afrika besondere Aufmerksamkeit widmen und glaubwürdig sein: Wir müssen die European Partnership Agreements viel stärker darauf ausrichten, zur Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen in Afrika beizutragen. Das verlangt Änderungen in der europäischen Handels-, Agrar-, Entwicklungs-, und Nachbarschaftspolitik. Afrika braucht einen Schutz für seine „infant industries“. Und wir müssen Afrika einen beschleunigten Zugang zu klimafreundlichen Technologien eröffnen.
V.
Meine Damen und Herren,
der Weg zur Nachhaltigkeit – das ist letztlich unser aller Weg. Nicht jeder geht ihn schon mit. Aber immer mehr brechen auf. Nicht nur als Konsumenten, die sich oft genug allein gelassen fühlen in der Wahl zwischen nachhaltig und nicht-nachhaltig. Sondern vor allem als Bürgerinnen und Bürger, die Teil der Veränderung werden, die ausprobieren, vorangehen, die Politik im Kleinen machen, wo die „große Politik“ vielleicht noch zu langsam ist. Ich verstehe die Große Transformation als einen großen gemeinsamen Lern- und Suchprozess, und hoffentlich auch den ersten wirklich globalen. Er wird gleichermaßen von den vielen jungen Leuten angetrieben, die draußen auf der Straße die großen Fragen stellen, wie von denen Ingenieuren und Forscherinnen, die kreative Lösungen für konkrete Probleme finden. Der Suchprozess ist notwendigerweise vielstimmig, denn den einen Masterplan kann es nicht geben. Es ist die Stunde für Mut in der Politik.
Wer sich umschaut, der sieht, dass überall schon etwas in Gang gekommen ist. Das beweist nicht zuletzt dieser Kongress. Immer mehr Unternehmen richten ihr Handeln an ESG-Kriterien aus (Environment, Social, Governance); immer mehr Anleger investieren ihr Geld in nachhaltigen Anlagen; immer mehr Investoren, Stiftungen, Staatsfonds ziehen ihr Kapital aus Branchen zurück, die mit fossiler Energie ihr Geld verdienen. Genossenschaften und Sharing Plattformen boomen. Alternative, fossilfreie Materialien und Treibstoffe werden entwickelt. Es gibt Ansätze für eine Öko-Hightech-Landwirtschaft, die alle Menschen gesund satt machen und die Handbreit fruchtbaren Boden schützen kann, von der wir alle abhängen. Es gibt klimaneutrale Gebäude und viele Ansätze für eine Kreislaufwirtschaft, in der geteilt und repariert und wiederverwertet wird, was wir zum Leben brauchen. All diese Ideen können in den Teilen der Welt, in denen noch enormer Nachholbedarf besteht, Jahrhundertsprünge ermöglichen. Das alles macht Hoffnung.
Deshalb hier noch einmal ein Satz zur Rolle der Jugend. Mich ermutigt das Engagement der jungen Generation. Statt es zu belächeln oder gar abzukanzeln, müssen wir uns fragen, was zu tun ist, dass es bleibt. Viele Jugendlichen sind ja auch mit dem Gefühl auf der Straße, dass ihre Stimme in einer alternden Gesellschaft immer weniger zählt. Ich finde, wir sollten deshalb auch über neue Formen demokratischer Beteiligung reden, zum Beispiel über eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre.
Vor allem aber sollten wir die Große Transformation als eine Geschichte des Gewinns erzählen und nicht als einen drohenden Verlust; als eine faszinierende Möglichkeit, zu einer besseren Balance zwischen Mensch und Natur zu finden. Ich sehe in dem Weg zur Nachhaltigkeit auch eine große Chance, neu zu entdecken, was Wohlstand, was Lebensqualität wirklich ausmacht; neu zu entdecken, was in unserem Leben wirklich Sinn stiftet und Glück bringt. So eine Erzählung kann Orientierung geben in einer orientierungslosen Zeit. Es ist möglich, weiter gut zu leben auf unserem Planeten, wenn wir den Wandel nicht weiter verschlafen oder gar blockieren, sondern gestalten – mit der gebotenen Dringlichkeit, mit einer Mission und sehr viel hoffendem Handeln.