Die Wissenschaft vom Menschen
Verleihung der Ehrendoktorwürde der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg an Herrn Bundesminister a.D. Dr. Theo Waigel
Augsburg, 18. April 2023
I.
Wir haben uns heute hier versammelt, weil eine renommierte Institution der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre einem prominenten ehemaligen Politiker akademische Weihen erteilt.
Einerseits ist ein solches Ereignis nicht selten, im Gegenteil: Manche Politikerinnen und Politiker sammeln auf ihrem Weg durch Zeit und Raum Ehrendoktorurkunden, als wären es Plaketten am Wanderstock. Sie sammeln aufgrund ihres Amtes, und sie tun das sogar im Ausland, denn auch dort schmückt der Vorgang beide Seiten und fördert obendrein die Völkerverständigung.
Andererseits ist ein solches Ereignis wie das heutige aber auch nicht alltäglich, zumal im vorliegenden Fall weder Amtsvorteil noch Völkerverständigung eine Rolle spielen: Theo Waigel ist längst nicht mehr Bundesminister, und die Ehrung vollzieht sich als innerschwäbische Angelegenheit. Sie fördert also noch nicht einmal die Einigkeit der deutschen Völkerstämme, von der die Weimarer Verfassung sprach, ja nicht einmal die Einigkeit der bayerischen Stämme, obwohl die manchmal durchaus etwas Förderung gebrauchen könnte.
Eine solche Ehrung wie die heutige ist auch deshalb nicht alltäglich, weil zwischen Politik und Wissenschaft der Beziehungsstatus im Allgemeinen lautet: kompliziert. Dabei rede ich gar nicht von den überraschend vielen Doktortiteln, die hierzulande prominenten Politikerinnen und Politikern wieder aberkannt oder nur mit tiefem Seufzen belassen werden.
Ich rede auch nicht von schockierenden historischen Beziehungsproblemen: König Friedrich Wilhelm der Erste von Preußen hat angeblich einen trinkfesten ehemaligen Präsidenten der Berliner Akademie der Wissenschaften in einem Weinfass bestatten lassen; und König Georg III. von England oder sein Bruder William soll, als ihnen der Historiker Edward Gibbon sein neuestes Werk präsentierte, bloß geantwortet haben: „Noch so ein verdammtes, dickes, quadratisches Buch! Immer kritzeln, kritzeln, kritzeln, was, Mr Gibbon?“
Nein, jenseits des Anekdotischen ist das Verhältnis von Politik und Wissenschaft strukturell kompliziert. Davon weiß gerade ein ehemaliger Bundesminister der Finanzen wie Theo Waigel ein Lied zu singen. Und auch darum ist die heutige Ehrung bemerkenswert.
II.
Lassen Sie mich das schwierige Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik an einem ziemlich aktuellen Beispiel erläutern: Zu Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wurde hierzulande debattiert, ob Deutschland ein sofortiges totales Embargo gegen russisches Gas und Erdöl verhängen sollte. Manche Ökonomen und Wirtschaftskapitäne warnten: Ein solches Embargo werde die deutsche Wirtschaft in eine tiefe Rezession stürzen und ganze Branchen existentiell gefährden. Andere Wirtschaftswissenschaftler dagegen rechneten vor, die Schäden würden sich in beherrschbaren Grenzen halten. Wie sollte sich da die Bundesregierung entscheiden?
Mein Rat an die Zuständigen in der Politik hätte aus den folgenden Empfehlungen bestanden:
[1] Achten Sie die Wissenschaften, denn der Teufel Mephistopheles hat Recht – nichts führt den Menschen, auch den Politiker, gewisser ins Verderben, als wenn er „Vernunft und Wissenschaft“ verachtet.
[2] Prüfen Sie alle Wortmeldungen aufgeschlossen, objektiv und ergebnisoffen.
[3] Werten Sie nicht einmal im Nachhinein Studien ab, deren Einschätzungen Sie nicht teilen. [4] Bedenken Sie außerdem, dass die Wirtschaftswissenschaften keine exakten Wissenschaften sind, schon weil sie es mit menschlichem Verhalten zu tun haben; aber auch, weil selbst die Wissenschaften bisweilen Theorie-Moden und bequemlichen Denkgewohnheiten unterliegen und darum mitunter den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen – das ist übrigens ein Teil der Antwort auf die berechtigte Frage von Königin Elisabeth II., warum denn praktisch kein Ökonom die Weltfinanzkrise von 2008 vorhergesehen hat.
[5] Denken Sie daran, dass keine Wissenschaftlerin und kein Fachexperte Ihnen die politische Entscheidung und die Verantwortung dafür abnehmen kann. Zu entscheiden, das ist Ihr Auftrag und Ihre Pflicht. Die Pflicht gewählter Politiker und Regierungen.
[6] Nehmen Sie es darum auch nicht zu schwer, wenn manchmal eine Entscheidung sich als falsch herausstellt.
[7] Erinnern Sie sich dann an Präsident John F. Kennedy: Der erbte von seinem Amtsvorgänger den Expertenplan, mit einer Bürgerkriegstruppe Kuba anzugreifen. Kennedy gab grünes Licht, und die Sache ging in der sogenannten Schweinebucht damals furchtbar schief. Der Präsident übernahm die politische Verantwortung, und er sagte dabei auch: „Der Erfolg hat hundert Väter, die Niederlage ist Waise.“
III.
Nun, Theo Waigel hat in seiner Zeit als Politiker keine solchen Waisen hinterlassen, sondern im Gegenteil viele große Erfolge erreicht, die dann Hunderte von glücklichen angeblichen Vätern gehabt haben. Wie viele Beispiele wollen Sie hören? Anders gefragt: Wie viele können Sie und ich überhaupt verarbeiten? Die sogenannte Millersche Zahl besagt, dass das menschliche Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis durchschnittlich sieben Informationseinheiten präsent halten kann. Darum habe ich der Bundesregierung gerade eben bloße sieben Empfehlungen gegeben. Und eben darum beschränke ich mich auch bei Theo Waigels Erfolgen auf sieben – schließlich wollen wir alle hier ja nicht noch durcheinanderkommen.
Ich beginne mit der innerdeutschen Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, unterzeichnet am 18. Mai 1990 von Bundesfinanzminister Theo Waigel und seinem Counterpart, DDR-Finanzminister Walter Romberg, in Kraft getreten am 1. Juli 1990. Diese Union brachte den Menschen in der DDR weit mehr als nur die D-Mark: Sie verankerte die Soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung auch auf dem DDR-Gebiet. Theo Waigel hat mit Erfolg für Privateigentum, Leistungswettbewerb, freie Preisbildung und die Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistungen gestritten und keinen Zweifel daran gelassen, dass Währungs- und Wirtschaftsunion Hand in Hand auch mit einer Sozialunion einhergehen müssen. Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wurde zum entscheidenden Meilenstein auf dem Weg in die Deutsche Einheit. Und dafür können wir alle, meine Damen und Herren, Theo Waigel dankbar sein.
Ich nenne zweitens den friedlichen Abzug von fast 550.000 sowjetischen Soldaten aus Deutschland zwischen 1990 und 1994, erreicht nach zähen Verhandlungen für die Gabe von zwölf Milliarden D-Mark plus drei Milliarden zinslosen Kredit; wobei damals 7,8 von den zwölf Milliarden dem Bau von Wohnraum für die Soldaten in ihrer Heimat zugute kommen sollten und eine Milliarde für die Kosten der Transporte von Menschen und Material vorgesehen war. Es gibt wenig Beispiele für besser angelegtes Geld, denn erreicht wurde die größte friedliche Truppenbewegung aller Zeiten und freie Bahn für die Unterzeichnung des „Zwei-plus-Vier-Vertrages“ (12. September 1990) über die Souveränität des wiedervereinten Deutschlands.
Dabei gab es neben dem transferierten Geld, aber noch eine andere Währung, die zählte: Sie hieß Respekt, Respekt auch gegenüber der Roten Armee, die einen großen Beitrag und Blutzoll zur Befreiung Deutschlands vom verbrecherischen Naziregime geleistet hatte.
Auch der dritte Erfolg fällt in jene Zeit: die Privatisierung der bundeseigenen Salzgitter AG und die Verwendung des Kaufpreises (knapp 1,3 Mrd. Euro) zur Errichtung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt am 18. Juli 1990. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt ist hierzulande längst nicht mehr wegzudenken als eine treibende Kraft für Umweltschutz, Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit. Theo Waigel war damit dem Mainstream von heute um 30 Jahre voraus.
Beim vierten Beispiel möchte ich Sie, bei allem Respekt, ein wenig beschummeln und Ihnen zwei für eins benennen: Theo Waigel hat sich bleibende Verdienste um die Vorbereitung und Ausgestaltung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion erworben und überdies dafür gesorgt, dass unsere gemeinsame Währung heute „Euro“ heißt und nicht „Ecu“ oder „Währungseinheit“ oder „Brüssel-Dollar“. Die neu geschaffene Europäische Zentralbank erhielt ein Statut nach dem Vorbild der Bundesbank, und der Euro erwies sich über sehr lange Zeit als mindestens so stabil wie die D-Mark.
Dieser Erfolg hatte eine Vorgeschichte, die weit vor der Regierungskonferenz zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) begann. Im vorausgehenden Europäischen Währungssystem gab es mancherlei Krisen und Konvergenz-Schmerzen; und mehr als einmal war der Bundesminister der Finanzen gefordert, mit Fingerspitzengefühl und Prinzipientreue Lösungen zu finden, mit denen alle beteiligten Nationen auskommen und vorankommen konnten.
Freilich kannte Theo Waigel auch die Theorie vom optimalen Währungsraum, wie sie der spätere Nobelpreisträger Robert Mundell bereits 1961 formuliert hatte. Er hörte all jene kritischen Stimmen, die eindringlich vor einer gemeinsamen Währung warnten, sie als „Esperantogeld“ verspotteten und auf die Gefahr asymmetrischer Schocks hinwiesen. Er nahm die mit der Einführung der neuen Währung verbundenen Ängste und Sorgen in Politik und Bevölkerung sehr genau wahr, doch er hatte auch die Erinnerung an zwei verheerende Weltkriege in Europa im Kopf – mit dem Tod seines Bruders im Zweiten Weltkrieg. Chancen und Risiken abwägend gab Theo Waigel dem europäischen Einigungsprozess und insbesondere der Aussöhnung mit Frankreich Vorrang. Bei allen weiter bestehenden Herausforderungen für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion bestätigt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine noch einmal auf dramatische Weise, dass diese Entscheidung richtig war.
Den mit der Wirtschafts- und Währungsunion verbundenen Risiken setzte Theo Waigel – ein fünftes Beispiel – den sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakt entgegen. Er sollte verhindern, dass die Mitgliedstaaten, sobald sie erst die Wirtschafts- und Währungsunion erreicht hatten, sich „fallen ließen“ und erneut dem süßen Gift der übermäßigen Schuldenaufnahme erlagen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt konkretisierte das Stabilitätsgebot der Wirtschafts- und Währungsunion, sollte dessen Einhaltung überwachen, und hielt bei Verstößen durchaus empfindliche Sanktionen bereit. Es gehört zur Tragik der Geschichte des Stabilitäts- und Wachstumspakt, dass die Waigel’sche „excessive deficit procedure“ später ausgerechnet durch deutsch-französische Absprachen aufgeweicht wurde.
Der sechste und siebte Erfolg kommen im Doppelpack. Das gleicht meine kleine Mogelei vorhin bei der Wirtschafts- und Währungsunion und dem Namen Euro ein wenig aus. Für Theo Waigel stand die Finanzpolitik im Mittelpunkt politischer Koordinierung. Dies verstand er auch als Verpflichtung, über die Tagespolitik, über das vorherrschende kurzfristige Denken in der Politik, hinaus zu denken. Er veranlasste sein Haus, ein finanzpolitisches Arbeitsprogramm für die nächste Dekade zu entwickeln. Dieses wurde dann 1996 unter dem Titel „Finanzpolitik 2000: Neue Symmetrie zwischen einem leistungsfähigen Staat und einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft“ veröffentlicht. Die dort definierte symmetrische Finanzpolitik hatte zwei gleich starke Flügel: Der eine Flügel sollte zu einem schlanken, leistungsfähigen Staat führen, der nicht alles Mögliche tut, sondern alles Nötige. Der andere Flügel sollte für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft sorgen und für mehr Netto vom Brutto bei den Bürgerinnen und Bürgern.
Die von Theo Waigel vor über zwei Jahrzehnten vorgelegte finanzpolitische Agenda war „ein Programm gegen angebliche Zwangsläufigkeiten:
– gegen die Zwangsläufigkeit eines dauerhaft steigenden Staatseinflusses,
– gegen die Zwangsläufigkeit einer permanenten Standortverschlechterung,
– gegen die Zwangsläufigkeit eines zunehmenden Umverteilungsstaates,
– gegen die Zwangsläufigkeit ständig abnehmender Wachstumsraten und sich verschärfender Wirtschaftskrisen.“
Mir scheint, Theo Waigels finanzpolitisches Arbeitsprogramm von 1996 könnte auch für die finanzpolitischen Herausforderungen von heute geschrieben sein.
Länger als jeder andere hat Theo Waigel als Bundesfinanzminister gewirkt. Ganze neuneinhalb Jahre, von April 1989 bis Oktober 1998, hatte er dieses Amt inne und hinterließ am Ende – trotz massiver Finanztransfers nach Ostdeutschland in der Größenordnung von jährlich 4 Prozent des Bruttoinlandprodukts – einen soliden Bundeshaushalt. Ein guter Teil seines Erfolges in dieser Zeit beruhte auf seiner großen Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit und Anstand waren es gewiss auch, die ihm nach der Zeit als Bundesminister den Weg zu verschiedenen bedeutenden Unternehmen wiesen, deren Compliance-Kultur er maßgeblich prägte und stärkte. Wo Theo Waigel wirkte, schlugen Compliance-Standards Wurzeln und die Befolgung von Compliance-Regeln wurde gelebter Alltag. – Meine Damen und Herren, „compliance“ bedeutet „Anstand im Wirtschaftsleben“ auf deutsch.
IV.
Damit komme ich wieder zu dem Verhältnis von Wissenschaft und Politik: Was ist nicht allein für den Waigel’schen Plan einer umfassenden Steuerreform an Mitternachtsöl und Gehirnschmalz verbrannt worden, in Ministerien und Kommissionen, an Lehrstühlen und in Parlamenten! Wie wogte nicht allein zu dem Thema der Meinungskampf hin und her zwischen den Parteien und den Experten, wie wurde nicht parlamentarisch taktiert und finassiert, um durchzusetzen oder anzuhalten, aufzuweichen oder härter zu schmieden.
Und so war es meistens. Über den wirtschaftswissenschaftlich „richtigen“ Umtauschkurs zwischen DDR-Mark und D-Mark zum Beispiel wird noch heute debattiert. Was mit der Wirtschafts- und Währungsunion erreicht wurde und was nicht, und ob ihre Regeln immer richtig angewendet worden sind, das scheidet bis heute die Geister. Nur dass keine russischen Soldaten mehr auf deutschem Boden stehen, das gilt, glaube ich, hierzulande allseits als unbestreitbarer Fortschritt.
Viele wichtige politische Entscheidungen brauchen einen soliden wissenschaftlichen Unterbau. Nur: Am Ende geht es bei all den wissenschaftlich fundierten politischen Debatten eben nicht um die abstrakte Wahrheit, sondern um konkrete Entscheidungen: Es geht nicht allein um das theoretisch Wünschbare, sondern auch um das in der Demokratie praktisch Erreichbare. Es geht nicht ums Rechthaben, sondern ums Gemeinwohl. Vielleicht hätte man den Umtauschkurs der Ost-Mark ja aus diesen und jenen Gründen wirklich deutlich niedriger ansetzen sollen? Nur: Vielleicht hätte das dann zu Kosten an Wut, Enttäuschung, Verzweiflung, Flucht aus der DDR und Zusammenbruch der Gesellschaft dort geführt, die unerträglich geworden wären.
Die wissenschaftliche Erkenntnis ist unentbehrlich, aber sie ist lediglich eine notwendige, keine hinreichende Bedingung kluger Politik. Daraus ergibt sich die Spannung zwischen den beiden, das strukturelle Problem. Mit Schiller gesprochen: „Leicht bei einander wohnen die Gedanken / Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen“ – und auch das muss kluge Politik wissen und beachten.
Wissenschaft und Politik: Jeder Bundesminister der Finanzen steht einem Hause vor, dessen wirtschaftswissenschaftlicher Energiegehalt enorm groß ist. Jeder Finanzminister hat eine Bundesbank zur Seite, und zuweilen hat er sie auch sich gegenüber, deren Ökonomen ebenfalls nicht auf den Kopf gefallen sind und die sich zurecht teilweise anderen Zielen verpflichtet fühlen als die jeweilige Bundesregierung. Die Opposition und die Wirtschaftspresse machen sich natürlich auch so ihre Gedanken, und meist sind sie mit ihrer eigenen Intelligenz außerordentlich zufrieden. Jeder Finanzminister besucht ständig Treffen seiner Kollegen in der Europäischen Union, im G7-Kreis wichtiger westlicher Industrienationen und bei der G20-Gruppe führender Wirtschaftsnationen aus aller Welt. Auf allen diesen Ebenen muss nämlich ebenfalls währungs- und finanzpolitisch diskutiert, abgestimmt, gesteuert werden. Da geht es nicht immer harmonisch zu, und des Öfteren geht es da eher zu wie in einer Hüpfburg.
Wie kann da einer oder eine, bei all dem Theorienstreit und politischen Druck, wie kann da jemand überhaupt Erfolg haben, geschweige denn sieben solche Erfolge wie die geschilderten? Nun, mit einer guten Mischung von Wissenschaft und Politik, und indem er handelt und entscheidet aus tiefer Einsicht in die Wissenschaft vom Menschen.
V.
Theo Waigel stammt aus einer formal bildungsfernen, doch substanziell klugen Familie. Er kam vom Lande und beschloss nach entsprechenden Erfahrungen schon als Schulkind, es den selbsternannten Schlaubergern aus der Stadt zu zeigen. Er studierte Jus und blieb dennoch landwirtschaftlich solide geerdet, sogar bei der Wahl des Themas seiner Doktorarbeit. Zugleich faszinierte ihn der Ideenhimmel: Er hörte philosophische und theologische Vorlesungen, und er fand sich von seinem christlichen Glauben wunderbar geborgen und von guten Seelenführern sicher geleitet. Richter werden wollte er nicht, vielleicht weil der Richter ja angeblich nicht rechnet (Iudex non calculat), während Theo Waigel sich mit Zahlenwerken und Berechnungen durchaus wohl fühlt. Den ersehnten Landratsposten bekam er aber auch nicht, und so zog es ihn mehr und mehr in die Politik. Da lernte er die Wirtschafts- und Finanzpolitik von der Pike auf, als enger Mitarbeiter des unvergessenen bayerischen Finanzministers Anton Jaumann und später im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages und als wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Zum gediegenen Finanzhandwerk und zu der Freude am überzeugenden Argument kam die Persönlichkeit: Theo Waigel ist ausgeglichen und ausgleichend; er hat einen gutartigen Humor und ist fähig zur Selbstironie – eine nicht nur bei Politikern sehr seltene Qualität; er ist seinen Mitmenschen zugewandt; und während manche stets den Dolch im Gewande führen und ihn anderen gern sogar bei einer Umarmung in den Rücken rammen, ist Theo Waigel seinen Weg ganz ohne Hieb- oder Stichwaffen und mit entwaffnender Menschenfreundlichkeit gegangen.
Das beruht wohl teils einfach auf Gabe und Begabung, es zeugt aber auch von tiefer Einsicht in die Wissenschaft vom Menschen, dem zoon politikon (Aristoteles), dem Wesen, das nur in der guten Gemeinschaft mit anderen seine wahre Bestimmung findet. Der Mensch ist angelegt auf Glück und Wohlwollen, auf „Freundschaft zwischen den Generationen“ (Robert Spaemann) und auf das Bauen daran, die Welt ein wenig besser zu hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben. Dafür braucht es Wissenschaft und braucht es Politiker, die Rat suchen, die klug abwägen und die dann entscheiden und durchsetzen – nicht selten mit einem Rest von Ungewissheit; oft in klarer Erkenntnis auch der Nebenwirkungen des Weges, auf den sie führen; und hoffentlich gehalten von Glaubensgewissheit und Menschenfreundlichkeit. Theo Waigel hat ein tiefes Verständnis von dieser Wissenschaft vom Menschen, er ist in ihr bewandert wie wenige, und er ist ihren Geboten gerecht geworden – davon zeugen seine Erfolge im Dienste unserer Republik, und davon zeugt sein vielfältiges, fruchtbringendes Wirken bis heute.
Lieber Theo Waigel, danke für diese Lebensleistung und herzlichen Glückwünsch zur Ehrendoktorwürde der Universität Augsburg!