Internationaler Preis der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung

Verleihung an I.E. Frau EU-Kommissarin Margrethe Vestager
Freiburg, 30. Juni 2019



I.

Thank you for being here today, dear Ms Dyrskjot, and receiving the International Price of the Hayek-Foundation as representative of Commissioner Margrethe Vestager. Although it is a pity that we cannot welcome her personally in our midst, please tell her of our full understanding that she has to be in Brussels on this important day. I think I can honor Margrethe Vestager best by giving my speech as prepared.
Mine sprogkundskaber i dansk er svage – meine Dänisch-Sprachkenntnisse sind schwach.
As I know, Ms Vestagers German is much stronger than my Danish. But her English is even better, and that is a happy coincidence, because most of us here believe that we, too, speak English. Therefore, let me first explain in English why we are delighted to award the International Prize of the Friedrich-August-von-Hayek-Foundation to Ms Vestager.
To put it in a nutshell: We are delighted because she is not afraid of making herself unpopular.
She has achieved a rare feat: she peaked on Konrad Adenauer’s scale for influence in politics and office, and that has won her the respect and the sympathies of our European fellow-citizens. It sounds paradoxical, but it isn’t – it is encouraging for all who know that the freedom of the market needs rules to work for the benefit of the common good.
What is Adenauer’s scale for influence in politics and office? He is said to have given the following advice: „Make yourself unpopular first off, then you will be taken seriously.“ Well, as European Commissioner for competition, nobody has ever been taken more seriously than Margrethe Vestager. She brought antitrust charges against giant transnational firms, she investigated and punished indecent tax affairs and abuses of market dominance, she made enterprises pay back illegal state aids and, quite recently, she said „No“ to a European mega-merger, to the chagrin of the CEOs and national ministers involved.
It is rumoured that, from time to time, recipients of her decisions lost their composure. Be that as it may – all of the time, she gained public prominence and approval. According to a EU-wide online-survey, in the eye of the public, Ms Vestagers performance ranks top among the Commissioners. People like what she achieves, they like the crispy clearness of her mode of expression, they like her accessibility in normal life, they like her for being „a real person“. People understand how important her work is for their lives. For example, when she turned down that mega-merger lately, she explained that it posed serious competition problems and would probably have led to higher prices, higher costs for tax payers, less choice for consumers, and less innovation. Turning down a mega-merger does not mean state control of markets – it means guaranteeing that markets work for the benefit of all. Public authority has to correct market failures and must ensure that competitors are being held accountable for the consequences of their decisions. A liberal market society is not characterized by the absence of state intervention, on the contrary: The keystone of its freedom and functioning is prudent public regulation and intervention. And Ms Vestager has become one of the European champions of this and for this fundamental truth. We are most grateful for that.
Not least, she is popular because she refuses to surrender to the dominance of the Tech-Giants, and proves that the blackmailing credo of „too big to fail“ has no validity in Europe.
Ms Vestagers popularity is an encouragement for those who believe that the principles of the “Freiburger Schule” can be a good basis for a strategic digital policy of the European Union. A policy that supports fair and competitive markets and that protects the rights of its citizens. Please allow me to slip back to my native language now, to dedicate myself to this idea in the minutes to come.

II.

Meine Damen und Herren,
wir brauchen eine europäische digitale Ordnungspolitik, die erstens einen freien und fairen Wettbewerb gewährleistet, und zweitens die individuelle Freiheit des Einzelnen zum Maßstab politischen Handelns hat.
Für Hayek hängen diese Punkte aufs engste zusammen. Er schrieb sein Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ zur Verteidigung der politischen Freiheit, aber er schrieb es besonders als Verteidigung der Freiheit des Wettbewerbs. Darum schärfte er dem Leser ein, das Buch richte sich nicht gegen wirtschaftliche Planung an sich, sondern allein gegen Planung, die den Wettbewerb ausschließen und ersetzen soll.
Hayek sah damals zwei Gefahren für die Freiheit und für den Wettbewerb: die äußere Bedrohung durch den Sozialismus in allen seinen planwirtschaftlichen und diktatorischen Spielarten sowie die innere Bedrohung des Wettbewerbs durch, wie Hayek sagte: „organized capital and organized labor. […] They do this through their common, and often concerted, support of the monopolistic organization of industry“.
Hayeks Denken ist auch und gerade im digitalen Zeitalter aktuell. Heute ermöglicht die Digitalisierung Planung und Kontrolle von bisher unvorstellbarer Präzision und verschafft damit dem, der an den Hebeln sitzt, ungeheure Macht. In China kontrolliert der Staat die digitale Welt. Die privatwirtschaftliche Entsprechung dieser Macht könnte sich im Westen aus den staatlich ungezügelten Algorithmen von zum Beispiel Google oder Facebook entwickeln.
Was ist eigentlich Europas Weg zwischen diesen beiden Perspektiven?
Zunächst eine Feststellung: Die Explosion von Wachstum und Gewinn der amerikanischen Technologiekonzerne ist auch das Ergebnis einer fehlenden digitalen Ordnungspolitik. Der digitale Markt der Superlative in den USA ist geprägt von Marktmacht und Monopolisierung. Es ist interessant, dass im US-amerikanischen Kongress Diskussionen geführt werden, die selbst eine Zerschlagung der Tech-Giganten nicht mehr tabuisieren.
Die Gefahren für den Wettbewerb und für die Innovationskraft liegen auf der Hand. Ein Beispiel ist das Geschäftsmodell der digitalen Plattformen. Auf diesen Plattformen treffen sich Käufer und Verkäufer, Spiele-Entwickler und Spieler, Filmproduzenten und Zuschauer, Menschen, die miteinander kommunizieren und sich informieren wollen, Fahrgäste und Autofahrer mit Mitfahrgelegenheit. Die Betreiber der Plattformen vermitteln den Kontakt zwischen ihnen, gestalten ihre Geschäftsbeziehungen, bieten flankierenden Service und schalten Werbebotschaften ein, die mehr und mehr auf den individuellen Nutzer zugeschnitten sind. Je mehr Konsumenten die Plattform anzieht, desto mehr Anbieter werden angelockt, und je größer deren Zahl wird, desto mehr Schau- und Kauflustige finden sich ein. Gerade bei solchen Netzwerken ist nichts so attraktiv wie der Erfolg. Je größer die Nutzerzahl und Reichweite, desto unvernünftiger erscheint es irgendwann, woanders hinzugehen oder eine Konkurrenzplattform aufzumachen. Der zum Riesen gewachsene virtuelle Marktplatz wird faktisch alternativlos und konkurrenzlos. Dominierende Plattformunternehmen treiben nicht nur ihre Preise hoch, sie geraten auch in Versuchung, ihren Nutzern unfaire, den Wettbewerb verfälschende Auflagen zu machen. Sie verfügen noch dazu über so viel finanzielle Feuerkraft, dass sie aufkommende Konkurrenten und neue Geschäftsideen kurzerhand aufkaufen und sich einverleiben können. Und sie werden bequemlich: Zum Beispiel hatte Microsoft Anfang des Jahrhunderts eine marktbeherrschende Stellung im Bereich der Internet-Browser. Geschlagene fünf Jahre lang wurde der „Internet-Explorer“ nicht fortentwickelt – Stillstand in einer der innovativsten Branchen unserer Zeit. Damit ist Hayek auch im 21. Jahrhundert noch relevant: Innovationen entstehen eben nicht durch Marktmacht, sondern durch die Konkurrenz um das beste Angebot.
Deswegen ist es gut und wichtig, dass sich die Wettbewerbsbehörden der Europäischen Union die digitale Geschäftswelt immer genauer ansehen. Und darum ist auch die politische Haltung von Kommissarin Vestager so wichtig: Sie beweist, dass es eine europäische Antwort auf Marktmacht und Monopolisierung geben kann. Diese europäische Politik beinhaltet möglichst viel produktiven Wettbewerb um die digitalen Märkte, also möglichst geringe Schranken für den Marktzutritt neuer Anbieter; und sie beinhaltet möglichst viel produktiven Wettbewerb auf den virtuellen Marktplätzen, auf den großen Plattformen und zwischen ihnen.
Europa muss nicht in den Wettbewerb um die größten Tech-Konzerne und möglichst viel Marktmacht treten, sondern in den Wettbewerb um die beste Ordnungspolitik, die Innovation und Freiheit ermöglicht. Eine europäische Politik muss außerdem, und das führt mich zu meinem zweiten Punkt, die digitalen Dienste bestmöglich in den Nutzen der Bürger stellen und ihnen die Hoheit über ihre persönlichen Daten belassen.

III.

Denn die Inanspruchnahme von digitalen Plattformen ist oft scheinbar kostenlos, bezahlt wird aber mit persönlichen Daten. Und zu Daten wird in der digitalisierten Welt alles, auch wir selbst. Wer diese Daten systematisch sammelt, zusammensetzt und analysiert, für den wird die Welt nach und nach transparent wie Glas – und für den könnten wir zu gläsernen Menschen werden. Mehr noch: Je interaktiver die digitale Welt wird, je mehr wir mit den Datenströmen in einer Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit leben, desto leichter wird es, unser Denken und Handeln zu beeinflussen und sogar dauerhaft zu verändern. Schon jetzt fesseln all die smarten digitalen Begleiter unsere Aufmerksamkeit. Wie sehr können und sollen sie künftig unser Weltbild modellieren, unsere Gewohnheiten formen, unsere Entscheidungen vorprägen?
Die ersten Steuerungsversuche werden mit dem staatlichen Sozialkreditsystem in China längst unternommen. Aber auch soziale Netzwerke und Suchmaschinen im Westen experimentieren mit ihrer Macht – und nutzen dabei geschickt unser Bedürfnis nach Ordnung in der schönen neuen Welt der digitalen Grenzenlosigkeit. Welche Zeitungsartikel in unserem Newsfeed gezeigt werden, welche Musik auf unseren Spotify-Playlists auftaucht, vielleicht sogar welches Restaurant uns auf dem Empfehlungsportal ans Herz gelegt wird, das alles wird durch Algorithmen vorselektiert. In dem Wunsch nach Optimierung und Effizienz fragen wir Google nach kürzeren Wegen, lassen uns von Armbändern sagen, wann wir zu Bett gehen sollen und eine App berechnet ob wir genug getrunken haben. Müssen wir uns nicht die Frage stellen, um noch einmal bei Hayek zu leihen, ob wir nicht auf dem Weg in eine neue, jetzt möglicherweise digitale, Knechtschaft sind, errichtet durch die Sozialingenieure der Technologiekonzerne?
Mit der Datenschutzgrundverordnung hat die Europäische Union einen ganz wichtigen Beitrag dazu geleistet, das Recht an persönlichen Daten wieder den Bürgern zurück zu geben. Doch die Verteidigung der Freiheit bleibt eine Daueraufgabe. Sie setzt andauernde Wachsamkeit und nicht zuletzt auch politisch-digitale Bildung voraus.
Im Übrigen beweisen die Debatten etwa um Datenschutz, um die Transparenz von Algorithmen oder wie zuletzt um die europäische Urheberrechtsreform, dass eine europäische Zivilgesellschaft durchaus in der Lage ist miteinander zu sprechen, zu streiten und in einem demokratischen Prozess zu einer Lösung zu kommen. Das gemeinsame Nachdenken über Digitalisierung, darüber, wie Europa Nutzer, Konsumenten und Bürgerrechte schützen und gleichzeitig die Chancen der Digitalität nutzen kann, stärkt auch die europäische Demokratie und Identität.

IV.

Die Art und Weise, wie politisch mit den Herausforderungen der digitalen Welt und der digitalisierten Märkte umgegangen wird, kennzeichnet einen neuen Systemwettbewerb: Zwischen staatlicher sozialer Kontrolle, wie wir sie in China erleben, und dem ungebremsten digitalen Kapitalismus der USA, muss Europa sich strategisch positionieren und eine politische Alternative anbieten, die durch echten Wettbewerb und Freiheit gekennzeichnet ist. Und Europa muss sich dabei gar nicht klein machen. Die europäischen Vorstöße in der digitalen Ordnungspolitik wie zum Beispiel mit der Datenschutzgrundverordnung wurden auch in der US-amerikanischen politischen Öffentlichkeit mit Aufmerksamkeit verfolgt. Ich finde, das könnte auch der Ausgangspunkt für einen parlamentarischen Austausch zwischen den USA und Europa über digitale Politik sein und damit zu einem neuen Impuls für den transatlantischen Dialog werden.
Die Digitalisierung stellt die europäische Wettbewerbsaufsicht vor neue Herausforderungen und die Wettbewerbshüter werden nur dann weiterhin Erfolg haben, wenn es in ihren Reihen und an ihrer Spitze Persönlichkeiten gibt wie Margrethe Vestager: Persönlichkeiten, die den Mumm haben, sich auch erst einmal unbeliebt zu machen, wenn das nötig ist, um ernst genommen zu werden. Die Kraft dazu kommt aber nicht allein aus der Persönlichkeit und aus den rechtlichen Kompetenzen. Die Kraft kommt immer auch daraus, dass die Bürgerinnen und Bürger den Wettbewerbsgedanken und die Bedeutung der Wettbewerbsaufsicht verstehen und bejahen. Ihre Verfechter müssen populär sein und nicht die ökonomischen Frankensteins, die nationale oder europäische „Champions“ zusammennähen und unter Bestandsschutz stellen wollen.
Commissioner Vestager has achieved very much for assuring competitive markets in the European Union. She has achieved even more: her public popularity proves that our fellow-citizens have understood the importance of her work. In that sense, she has not only impressed the public, she also helped to educate it. We feel enriched, too.
Congratulations to Commissioner Vestager on being awarded the International Prize of the Hayek-Foundation and thanks for her determination and hard work!