„KlimaUpdate Spezial“

Interview RTL - Maik Meuser
Berlin, 30. November 2021



Warum haben Sie die Schirmherrschaft über den Bürgerrat Klima übernommen?
Der Klimawandel ist menschengemacht. Deshalb können und müssen wir Menschen etwas dagegen tun. Er verlangt, dass wir die CO-2-Emissionen drastisch reduzieren. Pro Kopf werden mit Abstand die meisten Treibhausgase in den Industrieländern verursacht. Deshalb ist es wichtig, dass sich gerade hier möglichst alle mit dem Thema befassen.
Der Bürgerrat Klima ist dafür eine innovative Idee. Ich habe die Schirmherrschaft gern übernommen. Ich freue mich auch, dass die neue Bundesregierung vorhat, „zu konkreten Fragestellungen“ Bürgerräte einzusetzen – so steht es im Koalitionsvertrag.
Der Bürgerrat Klima hat mit seinem Bürgergutachten bewiesen: das lohnt sich! Allgemein sehe ich in Bürgerräten eine gute Möglichkeit, unsere Demokratie zu stärken.
Wieso braucht Deutschland einen Bürgerrat Klima?
Die Klimakrise macht viele Veränderungen nötig. Und diese Veränderungen machen manchen Angst. Die einen fürchten, dass alles teurer wird. Im Bürgerrat hat es einer so gesagt: „Klimawandel muss man sich leisten können“. Wieder andere fürchten, auf vieles verzichten zu müssen – auf den geliebten Schweinebraten zum Beispiel oder auf den Urlaubsflug in den Süden.
Auf Seiten der Politik gibt es viel Zögerlichkeit. Man glaubt, man dürfe den Menschen beim Klimaschutz nicht zu viel zumuten. Klimaschutz in homöopathischen Dosen reicht aber nicht!
Im Bürgerrat Klima wurden solche Fragen und Sorgen gewissermaßen stellvertretend diskutiert. Die Ergebnisse können und sollen parlamentarische Entscheidungen nicht ersetzen. Aber sie machen klar:
Es gibt Veränderungsbereitschaft in der Bevölkerung. Das kann der neuen Bundesregierung Mut machen zu einem wirklich kraftvollen Aufbruch in der Klimapolitik.
Ich habe in den Diskussionen im Bürgerrat Klima übrigens auch eine Sehnsucht gespürt – die Sehnsucht nach einer Art der politischen Auseinandersetzung, die nicht Ängste instrumentalisiert oder Lebensstile gegeneinander ausspielt, sondern um die besten Lösungswege ringt.
Genau das brauchen wir: Wettstreit um die besten Wege zur Klimaneutralität; Wahrhaftigkeit bei den Kosten des Handelns und Nicht-Handelns.
Sie haben die Arbeit des Bürgerrats Klima intensiv begleitet – was hat Sie dabei am meisten überrascht?
Mich hat überrascht, wie ernsthaft und engagiert die allermeisten Teilnehmenden dabei waren. Sie hatten sich das ja nicht selbst ausgesucht – sie haben nur „ja“ gesagt, als man sie nach einer Zufallsauswahl um Mitwirkung gebeten hat.
Und es hat mich auch erstaunt, mit wie großer Mehrheit der Bürgerrat am Ende seine Leitsätze und Handlungsempfehlungen verabschiedet hat – die meisten mit plus oder minus 90 Prozent Zustimmung. Das hat sicher auch mit der exzellenten wissenschaftlichen Begleitung der Diskussionen zu tun. Ich habe immer gehört, wie hilfreich die empfunden wurde.
Dahinter stecken drei wichtige Botschaften.
Erstens: Wer Bürgerinnen und Bürger ernsthaft einbezieht, der bekommt auch ihr Mitmachen. Das ist wichtig vor allem mit Blick auf diejenigen, die sich sonst eher selten zu Wort melden.
Zweitens: Wer auf der Basis geteilter Fakten diskutiert, der kommt zu anderen Ergebnissen als jemand, der seine Meinung nur mit der eigenen Befindlichkeit begründet.
Und drittens: Wer mit anderen zusammen Lösungsvorschläge erarbeitet, ist eher bereit zu Kompromissen. Da kam im Bürgerrat tatsächlich eine Haltung auf nach dem Motto: „Mir persönlich passt das zwar nicht so recht, aber für uns alle ist es schon besser.“
Steigert es nicht die Demokratieverdrossenheit, wenn Vorschläge des Bürgerrats nur in Teilen oder gar nicht umgesetzt werden?
Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht zum Thema „Bürgerrat“ der Satz: „Eine Befassung des Bundestages mit den Ergebnissen wird sichergestellt.“ Ich wünsche mir, dass genau das mit dem Bürgergutachten zur Klimapolitik geschieht. Dann muss man auch nicht mit mehr Demokratieverdrossenheit rechnen.
Wie schwierig und wie wichtig zugleich ist die Vermittlung der Klimakrise an die Bevölkerung? Auch mit Blick auf Regierungshandeln?
Das ganze Ausmaß und die Komplexität der nötigen Transformation begreifen wir alle wahrscheinlich erst durch „learning by doing“. Und klar sind wir Menschen träge, sehen bei Veränderungen erst mal die möglichen Verluste statt den möglichen Gewinn.
Aber wir stehen jetzt am Anfang eines Jahrzehnts, in dem drastische Veränderungen nötig sind, um eben nicht zu viel zu verlieren durch eine weitere Erderwärmung. Deutschland hat sich im Pariser Klimaabkommen zum 1,5-Grad-Ziel bekannt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Politik vor einem halben Jahr zu einem Handeln aufgefordert, das den nachfolgenden Generationen Freiheit erhält. Wer heute in politischer Verantwortung steht, muss transformative Politik entwerfen, erklären und die Umsetzung vorantreiben.
„Alle mitnehmen zu wollen“ – das darf keine Ausrede mehr dafür sein, zu spät loszugehen. Mitnehmen heißt: vorangehen. Das brauchen wir jetzt. Auch in der Demokratie ist politische Führung unersetzlich.
Sehen Sie Parallelen zwischen Pandemie und Klimakrise?
Ja, bei beiden gilt: „Verschieben heißt verschärfen“! Wer nicht rechtzeitig und vorausschauend handelt, zwingt die Nachfolgenden zu umso härteren Maßnahmen. Das kann die Fähigkeit der Demokratie zur Selbstkorrektur an ihre Grenzen führen.
Beide, Pandemie und Klimakrise, sind enorme Stresstests für unsere Demokratie. Die Praxis der Demokratie ist ja das geduldige Aushandeln, der Kompromiss – und nicht die Schnelligkeit des Handelns.
Beide, Pandemie und Klimakrise, zwingen zu einem genaueren Verständnis von „Freiheit“. Die Freiheit, sich nicht impfen zu lassen, beschränkt die Freiheit anderer. Die Freiheit, Treibhausgase zu emittieren, die wir uns mit unserem Lebensstil genommen haben und weiterhin nehmen, sie beschränkt die Freiheit und das Leben anderer – nicht zuletzt auch von Menschen in anderen Teilen der Welt oder von denen, die noch gar nicht geboren sind.
Freiheit ist eben nicht nur die individuelle Freiheit von Bevormundung, sondern auch die Einsicht in die Notwendigkeit, sich selbst zurückzunehmen, um anderen Freiheit zu erhalten. Freiheit muss sich immer auch in Verantwortung binden.
Wenn Sie auf die Entwicklungen der Klimakrise blicken – was bereitet Ihnen die größten Sorgen?
Mir macht Sorge, dass die Klimaforschung offenbar Tempo und Folgen der globalen Erwärmung unterschätzt hat. Die Permafrostböden zum Beispiel beginnen schon jetzt zu tauen statt wie angenommen erst Ende des Jahrhunderts. Dadurch wird das noch gefährlichere Methan freigesetzt. Solche Nachrichten müssen einen alarmieren, wenn man um die so genannten „Tipping points“ weiß – das sind die Kipp-Punkte, an denen Veränderungen im Klimasystem unumkehrbar werden können.
Sorge macht mir auch, dass Mutlosigkeit und zu langsames Handeln die Demokratie beschädigen könnte, weil das Vertrauen schwindet, dass sie in der Lage ist, auf Bedrohungen zu reagieren, die weit über Legislaturperioden hinausreichen. Das gilt ausdrücklich für alle Demokratien weltweit.
Was gibt Grund zur Hoffnung?
Hoffnung macht mir, dass es nicht nur klimatische, sondern auch gesellschaftliche und technologische „Tipping Points“ gibt. Und da sieht man Einiges:
Weltweit gehen junge Menschen für ihre Zukunft auf die Straße. Investoren fordern von Unternehmen Ausrichtung auf Klimaschutz. Unternehmen fordern von Regierungen dafür klare Leitplanken und erneuerbare Energien. Die wiederum werden immer günstiger. Und auch andere klimaschonende Technologien werden reif. Mir scheint, der Kipp-Punkt zu einem wirklichen Aufbruch in Richtung einer neuen Großen Transformation in der Menschheitsgeschichte ist erreichbar!
Hoffnung macht mir dabei auch, dass bei allen Interessenunterschieden das Pariser Klimaabkommen von 2015 von allen Nationen als politischer Rahmen für nationale Anstrengungen und internationale Zusammenarbeit anerkannt wird.
Und schließlich macht mir der Bürgerrat Klima Hoffnung. Er hat es vermocht, sich mit klaren Mehrheiten auf Leitsätze und konkrete Empfehlungen für die deutsche Klimapolitik zu verständigen. Mein Fazit daraus ist: Die Politik sollte die Bürgerinnen und Bürger nicht unterschätzen – nicht ihre Veränderungsbereitschaft und auch nicht ihre Bereitschaft, mitzumachen auf dem Weg aus der Klimakrise.