Laudatio auf S.H. Papst Franziskus

anlässlich der Verleihung des Millennium-Bambi
Berlin, 17. November 2016



Ich bin weder Katholik noch großer Fan von Veranstaltungen mit roten Teppichen. Und trotzdem freue ich mich, hier zu sein. Weil mich dieser Papst von Anfang an tief berührt hat: mit seinem schlichten „buona sera“, mit seiner sichtbaren Ablehnung von Protz und Gehabe, mit der Reise auf die Insel Lampedusa gleich nach seiner Wahl, lange noch bevor das Flüchtlingsthema die Schlagzeilen dominierte.

Papst Franziskus macht uns unmissverständlich klar, dass die christlichen Wurzeln Europas nicht Folklore sind, sondern Anspruch an uns selbst: Jedes Leben verdient Respekt. Jedes Kind, jede Frau, jeder Mann hat eine unantastbare Würde. Jeder Mensch ist einzigartig und hat eine Geschichte, die tausendmal komplexer ist als alles, was wir aufgrund seiner Herkunft oder Religion über ihn zu wissen meinen. Das ist das Fundament Europas!

Papst Franziskus hält uns den Spiegel vor, was Christsein bedeuten kann. Was Menschsein bedeuten kann. Er wäscht muslimischen Asylbewerbern an Gründonnerstag die Füße. Er frühstückt an seinem Geburtstag mit Obdachlosen. Er bezeichnet Flüchtlinge als „Geschenk“. Der Papst zeigt uns seine Menschenliebe mit einer solchen Leichtigkeit und Fröhlichkeit und so völlig ohne Angst, dass es fast schon eine Provokation ist.

Denn natürlich sind die politischen Fragen, mit denen uns etwa die Flüchtlingskrise konfrontiert, alles andere als leicht. Sie sind verdammt schwierig. Und die Kompromisslosigkeit der Liebe, mit der uns Franziskus so bewegt, steht der Politik nicht zur Verfügung: Politik muss Kompromisse machen, auch schmerzhafte.

Deshalb sind Meinungsverschiedenheiten über die richtige Flüchtlingspolitik normal. Wir müssen uns streiten. Und selbstverständlich müssen wir auch um die Antwort ringen, wo die Grenzen liegen unserer Fähigkeit, zu helfen.

Aber wir dürfen nicht aus dem Blick verlieren, worum es geht – nämlich um die Frage, mit welchen Mitteln wir den Konsens, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, umsetzen können. Es darf nicht darum gehen, diesen Konsens selbst in Frage zu stellen. Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Doch dieser Konsens ist zerbrechlich. Wenn Menschen, die Gutes tun wollen, als „Gutmenschen“ verspottet werden, wenn es wieder akzeptiert wird, die Liebe zu unserem Land durch Hass auf Fremde zu beweisen, und wenn dieser Hass dann auch noch als politischer Mut verkauft wird, dann lassen wir zu, dass die Angst das verformt, was uns ausmacht – als Europäer, als Menschen.

Deshalb müssen wir diesem Papst dankbar sein: weil er jeden Tag Zeichen der Menschlichkeit setzt, um das Christentum aus der Umklammerung jener zu entreißen, die damit ihre schmutzigen politischen Geschäfte treiben; weil er den populistischen Scharlatanen zuruft: nein, dieses Abendland gehört euch nicht, und nein, dieses Christentum lässt sich nicht kapern für einen neuen Krieg der Religionen und nein, die christlichen Werte können nicht dadurch verteidigt werden, dass man sie mit den Füßen tritt.

Papst Franziskus stellt der schleichenden Verrohung der politischen Kultur die Verletzlichkeit eines offenen Herzens entgegen. Er kontert das Verächtlichmachen des Guten mit der schamlosen Sehnsucht nach einer menschenwürdigen Welt.

Aber der Papst ist nicht naiv. Zornig legt er den Finger in die Wunde globaler Ungerechtigkeit. Franziskus erinnert uns daran, dass die seit Ende des zweiten Weltkrieges größte Fluchtbewegung keine biblische Plage ist. Sie ist das Ergebnis menschengemachter Kriege, menschengemachter Armut und des menschengemachten Klimawandels. Und damit liegen auch die Lösungen nicht in Gottes, sondern in der Menschen Hand.

Lassen wir uns deshalb von diesem Papst provozieren. Lassen wir uns provozieren, die Flüchtlinge auch als Boten eines neuen Zeitalters der gegenseitigen Abhängigkeit zu sehen. Ob es uns passt oder nicht: Die Menschheit sitzt in einem Boot. Wir werden unseren Wohlstand und unsere Sicherheit auf Dauer nur dann bewahren können, wenn alle Menschen auf dieser Erde in Würde leben können, und das innerhalb der ökologischen Grenzen des Planeten.

Und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das auch möglich ist!

Es wird möglich, wenn wir mit dem Klimaschutz ernst machen, auch wenn’s weh tut.

Es wird möglich, wenn wir den gigantischen Geldsummen, die in der Welt herumirren, Sinn geben – mit Investitionen dort, wo es an allem fehlt.

Es wird möglich, wenn wir einen entschlossenen Neustart vor allem in der Zusammenarbeit mit Afrika wagen, damit die afrikanische Jugend endlich Arbeit und Einkommen und Perspektiven findet.

Das alles ist keine Träumerei, sondern echte Realpolitik in diesem vernetzten 21. Jahrhundert.

Lassen wir uns jedenfalls von niemandem einreden, dass die Welt nun mal so ist wie sie ist und die einzige Lösung darin besteht, uns einzumauern.

Papst Franziskus provoziert uns alle, einen Weg zu einer gerechten Welt zu finden. Und ich habe keinen Zweifel: wenn wir das ohne Angst tun, mit franziskanischer Fröhlichkeit und ruhig auch einer Prise Zorn, dann werden wir das auch schaffen.