Mut zum Aufbruch: 10 Jahre RUHR.2010 und die Große Transformation
RUHR.2010
Essen, 10. Januar 2020
I.
Vielen Dank für Ihre Einladung zu 10 Jahren Kulturhauptstadt und Ruhr Museum! Ich habe mich sehr darüber gefreut. Und natürlich kamen gleich die Erinnerungen an den Tag vor zehn Jahren, als ich mit Ihnen zusammen „RUHR.2010“ eröffnen durfte: Die Erinnerung an „Daisy“, den Schneesturm, in dem unser Flugzeug kreiste, weil die Düsseldorfer Landebahnen vereist waren, während unter uns mehr als eintausend Gäste in Wärmedecken und Plastikcapes gehüllt im Schneetreiben saßen und geduldig auf den Bundespräsidenten warteten; die Erinnerung an die tapferen Tänzer auf der streusalzmatschigen Bühne, an Grönemeyers Ruhr-Hymne, an Barrosos Pelzkappe – die eigentlich Fritz Pleitgen gehörte – und an Rüttgers‘ Ohrenklappen. Auch mein Schwarzwälder Filzhut hat sich damals übrigens bestens bewährt. Ich habe ihn mitgebracht, damit er bei Ihnen bleibt, denn hier ist er dauerhaft am besten aufgehoben.
Vor allem erinnere ich mich an die menschliche Wärme trotz all der Kälte, an die gute Laune, an dieses „wir-lassen-uns-doch-von-so-einem-bisschen-Schneesturm-nicht-unterkriegen“. Nicht jammern, anpacken: Diese Haltung, meine Damen und Herren, verbinde ich mit den Menschen hier im Revier. Wie diese Haltung gewachsen ist, wie das Ruhrgebiet wurde, was es ist, eine Region im permanenten Wandel: Das alles wird seit nunmehr zehn Jahren wunderbar anschaulich gezeigt, nebenan im Ruhr Museum. Herzlichen Glückwunsch!
II.
Fast zweihundert Jahre lang hat hier die Kohle das Leben bestimmt. Sie hat Millionen Menschen angezogen, darunter die Kowalskis und Yilmaz‘, die heute längst dazugehören. Sie hat die Landschaften ausgehöhlt und umgepflügt, den Himmel über der Ruhr verdunkelt, Flüsse vergiftet und die Lungen vieler Bergleute zerstört. Zugleich hat die Kohle den Aufstieg Deutschlands zur führenden Industrienation befeuert. Sie hat zwei fürchterliche Weltkriege munitioniert. Und wurde dann, in Gestalt der Montanunion, zur Keimzelle der politischen Einigung Europas. Welcher Auftrag!
Das Ruhrgebiet war einer der Pioniere der Großen Transformation, die wir „Industrialisierung“ und „Globalisierung“ nennen. Fossile Rohstoffe haben die Energieversorgung und die Stahlproduktion revolutioniert, aber auch Chemie, Medizin und Landwirtschaft. Sie haben den größten Wohlstandsschub der Menschheitsgeschichte ermöglicht. Aber wir kennen heute auch den Preis dieses fossilen Wachstums. Es ist ein Preis, der die vom Bergbau verursachten „Ewigkeitskosten“ um ein Vielfaches übersteigt.
Es steht eine neue Große Transformation an, wenn wir katastrophale Folgen der Erderwärmung noch aufhalten wollen. Sie verlangt die möglichst komplette Dekarbonisierung von Produktion und Konsum – also den Abschied von Kohle, Öl und langfristig auch Gas. Sie verlangt die Wende hin zu Erneuerbaren Energien, auch die Wiederentdeckung der Kreislaufwirtschaft. Und auch ein neues Verständnis von Wohlstand.
Über diese neue Große Transformation möchte ich heute Abend sprechen, hier bei transformationserfahrenen Leuten. Ich sehe in dieser neuen Transformation eine große Chance, allen Menschen auf unserem Planeten bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen. Doch wir müssen auch ehrlich sein. Die Transformation wird allen große Veränderungsbereitschaft abverlangen. Und sie muss gelingen in einer Phase der Weltpolitik, in der sich die Gewissheiten der zweiten Hälfte des 20. – des „transatlantischen“ – Jahrhunderts im Zeitraffer verflüchtigen.
Nun bin ich nicht gekommen, um Ihnen die Feierlaune zu verderben. Und es gibt ja zugleich auch vieles, worüber man sich freuen oder staunen kann: Hätten wir vor einem Jahr gedacht, dass weltweit Millionen junge Menschen Freitag für Freitag für ihre Zukunft demonstrieren würden? Und dass diese „Fridays for future“ so viel Unterstützung bekommen würden, von den „parents“ über die „scientists“, „churches“, „entrepreneurs“, „farmers“ bis zu den „students for future“?
Und es gibt eine Fülle von klugen Ideen, wie wir künftig viel besser produzieren und wirtschaften könnten, mit viel weniger knappen und umweltschädlichen Ressourcen. Künftig könnte Stahl etwa CO2-neutral werden, wenn er statt mit Koks mit Wasserstoff produziert wird, der seinerseits CO2-neutral hergestellt wurde.
Chancen und Gefahren für die Menschheit lagen vielleicht noch nie so nah beieinander wie heute. Und die zentrale Frage ist nicht, ob wir Veränderungen wollen. Wir sind ja schon mittendrin. Die zentrale Frage ist: Lassen wir uns von den Veränderungen überrollen? Oder schaffen wir eine Transformation, die die technologischen Möglichkeiten zum Guten einsetzt, die eine neue Balance von Mensch und Natur schafft und einen neuen Ausgleich zwischen allen Nationen? Das ist für mich die Menschheitsfrage im 21. Jahrhundert.
„Menschheitsfrage! Geht’s nicht auch eine Nummer kleiner?“, fragen Sie sich jetzt vielleicht. Schließlich feiern Sie zehn Jahre Kulturhauptstadt Ruhr und fragen sich, wie es hier im Revier weitergehen wird. Doch inzwischen wissen oder ahnen wir doch alle, wie eng unsere Zukunft verknüpft ist mit den Entwicklungen in anderen Teilen der Welt. Und wo könnte man besser über die Schmerzen, aber auch den Gewinn von Veränderungen sprechen als hier im Ruhrgebiet? Wo besser über die Dekarbonisierung als hier auf Zeche Zollverein – Symbol der fossilen Moderne und der Verwandlung einer Region?
Und darum will ich fragen: Was braucht es, damit die anstehende Transformation gelingen kann – und wo können wir möglicherweise aus Ihren hiesigen Erfahrungen lernen? Ich sehe vor allem vier Wegweiser: Wir brauchen erstens ein viel größeres Bewusstsein der Dringlichkeit zum Handeln; wir brauchen zweitens ein neues Wirtschaftsmodell; wir brauchen drittens Hoffnungsgeschichten und viertens ein gemeinsames Suchen nach neuen Lösungen.
III.
Erstens: Wir brauchen ein klares Bewusstsein für die Dringlichkeit zum Handeln.
Als Bundespräsident Steinmeier vor etwas über einem Jahr in Bottrop einen schwarzen Brocken überreicht bekam, war das der symbolische Schlussstrich unter einen 50 Jahre währenden Abschied von der Steinkohle.
Die jetzt anstehende Transformation – sie wird schneller gehen müssen! Selbst nüchterne Klimaforscher weisen inzwischen darauf hin, dass sie Tempo und Folgen der Erderwärmung unterschätzt haben. Die arktischen Permafrostböden etwa beginnen schon jetzt zu tauen statt wie angenommen erst Ende des Jahrhunderts; der Eisschild der Westantarktis schwindet: zwei der gefürchteten Kipp-Punkte, bei deren Überschreitung dramatische Kettenreaktionen für unsere gesamte Biosphäre drohen. Nur noch eine klar bezifferte Restmenge an CO2 darf –nach breiter Übereinstimmung der Wissenschaft – jetzt noch in die Atmosphäre gelangen, wenn wir eine katastrophale Erderwärmung zu verhindern suchen. Zeit-Kaufen, diese in der Politik so beliebte Methode, stößt an ihre Grenzen. Mit dem Klima kann man keinen Aufschub verhandeln. Manche halten so einen Satz für anti-politisch, ja für den Vorboten einer Öko-Diktatur, in der die Freiheit zusammenschnurrt auf Einsicht in die ökologische Notwendigkeit. Mich treibt eine ganz andere Sorge um: dass wir durch Nicht-Handeln den kommenden Generationen wichtige Freiheiten nehmen. Die zu Recht gerühmte Fähigkeit der Demokratie zur Selbstkorrektur – sie stößt beim Klimawandel an physikalische Grenzen. „Verschieben ist verschärfen“ (so der Journalist Bernd Ulrich in der ZEIT).
Wer unausweichlichen Strukturwandel mit dem Verweis auf den Erhalt der Arbeitsplätze von heute verschleppt, gefährdet letztlich die Arbeitsplätze von morgen. In dieser Lage befindet sich möglicherweise eine deutsche Schlüsselindustrie von heute: der Automobilbau. Wir werden der Welt nicht mehr sehr lange riesige, geländegängige Stadtlimousinen mit Verbrennungsmotor verkaufen können. Und doch haben die deutschen Autobauer lieber am alten Geschäftsmodell des „schneller, größer“ festgehalten, anstatt als erste bezahlbare, abgasarme Autos auf den Markt zu bringen. Und die Politik? Hat nach Kräften ihre schützende Hand darüber gehalten. Nun zeigt sich: Eine Branche vor dem unvermeidlichen Wandel beschützen zu wollen, ist am Ende womöglich gefährlicher als jeder strenge Abgas-Grenzwert. Mir scheint, zum Glück haben die Manager der Automobilindustrie das Problem inzwischen erkannt und geben – wenn man so sagen darf – Gas, den Rückstand aufzuholen. Das macht Hoffnung.
Tatsächlich nimmt das Bewusstsein in der Wirtschaft für die Dringlichkeit der Umstellung auf das post-fossile Zeitalter erkennbar zu. 20 große deutsche Unternehmen, vereint in der Stiftung „2 Grad“, fordern „klare klimapolitische Leitplanken“. Kurz vor der Klimakonferenz in Madrid haben sich über 500 globale Großinvestoren – wahrlich nicht die üblichen Verdächtigen – für einen drastisch höheren Preis für CO2 und für die Streichung aller fossilen Subventionen ausgesprochen. Und auch die beharrlichen Warnungen des Gouverneurs der Bank von England, dass Wirtschaftsgeschäfte, die sich auf fossile Rohstoffe gründen, sehr schnell zu „stranded assets“ werden können, sie werden zunehmend gehört auf den internationalen Finanzmärkten.
Damit bin ich bei meinem zweiten Wegweiser: Wir brauchen ein neues Wirtschaftsmodell.
Wir müssen unser bewährtes Modell der sozialen Marktwirtschaft umbauen zu einer Ökologisch-Sozialen Marktwirtschaft – und dabei beides, Ökologisch wie Sozial, groß schreiben! Der wichtigste Hebel ist ein wirkungsvoller Preis auf CO2, der die ökologischen Kosten von Emissionen endlich in die Gegenwart und zum Verursacher holt. Das würde Investoren eine klare Richtung geben für Zukunftsfähigkeit und damit Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze sichern. Der jetzt im Klimapaket vereinbarte Kompromiss ist ein Anfang, auch wenn ich mir mehr Mut gewünscht hätte. Vorausschauende Ordnungspolitik braucht Anreize, Terminsetzungen, und wo nötig auch Verbote. Der große Ökonom John Maynard Keynes hat das einmal so gesagt: Es ist am Staat, „die Entscheidungen zu treffen, die niemand trifft, wenn der Staat sie nicht trifft“.
Darum finde ich auch die Vision der neuen EU-Kommission unter Ursula von der Leyen ermutigend: Europa soll bis 2050 ein klimaneutraler Kontinent werden. Sie spricht von einem „European Green Deal“. Das ist ambitioniert, aber es ist gut, denn es kann Europa auch aus seiner Lethargie und Selbstbeschäftigung führen. Unser Kontinent mit seiner Geistesgeschichte, mit seiner politischen Erfahrung kann sich doch zutrauen, Avantgarde zu sein für eine Zivilisation, die Ökologie, Ökonomie und Soziales endlich miteinander versöhnt.
Wir sollten uns freuen, dass das Institut der deutschen Wirtschaft gemeinsam mit dem gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie die Idee einer großen Investitionsanstrengung ausgearbeitet hat. Sie schlagen zusätzliche öffentliche Investitionen in Höhe von 450 Milliarden Euro für die kommenden 10 Jahre vor. Die derzeitigen Finanzierungsbedingungen sind dafür sicherlich ein „window of opportunity“. Ich finde, dieser Vorschlag sollte aufgegriffen werden. Wir müssen dabei aber darauf achten, dass nicht nur in Beton und Glasfaser, sondern vor allem in Köpfe investiert wird: in Bildung, von Anfang bis zum Ende des Lebens, in noch viel mehr Forschung und Entwicklung. Das sind die wichtigsten Fundamente für gelingenden Strukturwandel, für Wohlstand und die Arbeitsplätze der Zukunft.
Im Ruhrgebiet ist diese Erkenntnis nicht neu. Man kann ja kaum noch glauben, dass es in den 1950er Jahren hier fast 500.000 Bergleute gab, aber keinen einzigen Studierenden. Heute ist es bald umgekehrt, das Ruhrgebiet hat eine der dichtesten Forschungslandschaften der Bundesrepublik. Das sollte der Region in diesem neuen Umbruch zum Vorteil gereichen. Schon jetzt wird hier ja zum Thema Nachhaltigkeit intensiv geforscht, in Hochschulen, Max-Planck-Instituten, Forschungsstellen, oft in enger Kooperation mit Unternehmen. Thyssenkrupp, habe ich mir sagen lassen, verwandelt in einer Pilotanlage die noch unvermeidlichen Hüttengase zu chemischen Wertstoffen („Carbon2Chem“). So wird an Zukunft gearbeitet.
Einen Ort, der sich dank massiver Investitionen neu erfunden hat, habe ich heute auf meinem Weg zu Ihnen besucht (übrigens nicht zum ersten Mal): den „Duisport“. Wer hätte geglaubt, dass aus dem Gelände des stillgelegten Krupp-Stahlwerks eine europäische Logistikdrehscheibe werden würde; und aus dem ehemaligen Werkshafen der größte Binnenhafen Europas? Wer hätte gedacht, dass dort heute Start-ups entstehen statt Stahlblech; dass dort einmal Züge der „Neue Seidenstraße“ enden würde, die auch dem Ruhrgebiet neue Perspektiven für Handel und Geschäfte eröffnet haben? Ich meine, wir müssen auch mit China auf Zusammenarbeit setzen, und zwar mit gesundem Selbstbewusstsein und mit klar formulierten Regeln für fairen Wettbewerb. Wir sollten China wo immer möglich als Partner für eine regelbasierte Weltwirtschaftsordnung gewinnen und für Zusammenarbeit gerade im Bereich des Umweltschutzes. In dieser Zusammenarbeit müssen wir aber auch die Ideen und die Kraft haben, Standard-Setzer für Zukunftstechnologien zu bleiben.
Meine Damen und Herren,
angesichts der Geschwindigkeit des geopolitischen, technologischen und sozialen Wandels ergreift viele Menschen ein Gefühl der Überwältigung und Ohnmacht. Das aber kann zu Selbstlähmung führen – mit fatalen Folgen gerade für die anstehende Transformation. Eine starke Gegenerzählung ist nötig, und das führt mich zu meinem dritten Wegweiser:
Wir sollten die Große Transformation nicht als Verzichts- und Leidensgeschichte erzählen, sondern als Hoffnungsgeschichte.
Ja, wir werden Abschied nehmen müssen von dem alten Wohlstandsverständnis des fossilen Zeitalters, und damit auch von manchen liebgewonnenen Konsumgewohnheiten. Aber ich sehe darin auch eine Chance, neu zu entdecken, was in unserem Leben wirklich Sinn und Glück stiftet. Immer mehr haben, immer schneller sein? Wenn ich, wo immer möglich, mit dem Fahrrad fahre, dabei die Sonne auf meinem Gesicht oder den Wind um meine Ohren spüre – verzichte ich dann oder gewinne ich? Und sind nicht die wichtigen Dinge im Leben – Liebe, Freundschaft, Zeit für sich und andere – weitgehend CO2-neutral? Der von mir vorhin schon einmal zitierte Keynes hat übrigens bereits vor 90 Jahren darüber nachgedacht, wie Produktivitätsfortschritt in Zeitgewinn für den Einzelnen umgemünzt werden kann. Mit den jetzigen technologischen Möglichkeiten können wir durchaus die große Sehnsucht vieler Menschen nach mehr selbstbestimmter Zeit viel besser berücksichtigen. Auch das gehört für mich zu den Perspektiven einer neuen Welt.
Hoffnung macht auch, wenn man sieht, wie im Ruhrgebiet in die Stätten der Industriekultur neues Leben eingezogen ist, wie der „Wandel durch Kultur“ tatsächlich in Gang kommt – etwa hier auf Zeche Zollverein. Auch die Rückverwandlung der Emscher – der „Köttelbecke“ – in einen lebendigen Fluss macht Mut. Anfang der neunziger Jahre hat man dafür noch einen Vogel gezeigt bekommen – inzwischen brüten dort wieder seltene Vogelarten. Und das weltweit größte Renaturierungsprojekt wird zum Vorzeigemodell. Heute kommen Interessierte aus allen Teilen der Welt. Sie wollen sehen, wie die Heilung der Natur von den Folgen des gnadenlosen industriellen Raubbaus gelingen kann.
Damit bin ich bei meinem vierten und letzten Wegweiser: Ich verstehe die Große Transformation als einen großen Lern- und Suchprozess.
Ich hoffe, dass man zum Beispiel die „Ruhrkonferenz“ als einen solchen Lern- und Suchprozess verstehen kann. Auf den Internetseiten der Landesregierung lese ich dazu: „Das große Potenzial der Region können die 53 Städte und Gemeinden im Ruhrgebiet dann verwirklichen, wenn sie und ihre Schulen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Kulturinstitutionen, Stiftungen, Verbände, Vereine gemeinsam agieren. (…) So soll die Vielfalt der Ideen von Initiativen, Institutionen und Bürgerinnen und Bürgern sichtbar gemacht werden.“ Die Ruhrkonferenz ist nach den Vorstellungen der Landesregierung also als dauerhafte Ideenschmiede gedacht und setzt auf Engagement und Teilhabe. Aber das muss sich jetzt auch konkret beweisen und sollte nicht ein schöner Text in einer Werbebroschüre bleiben. Ich hoffe sehr, dass gerade das Thema der ökologischen Zukunftsfähigkeit der Region einen sichtbaren Schub bekommt – und Ansätze wie dieser vielleicht sogar andere Regionen inspirieren.
Die Wahrheit ist jedenfalls: Den einen Masterplan für die neue Transformation kann und wird es nicht geben. Wir müssen überall ausprobieren und verwerfen, experimentieren und scheitern, weitermachen und neu beginnen. Und voneinander lernen! Wenn das passiert, habe ich keinen Zweifel: So wird dann auch die neue Große Transformation gelingen. Ich füge aber auch hinzu: Ja, das sind komplexe Prozesse. Doch dem muss sich verantwortungsvolle Politik stellen. Sie muss Zusammenhänge erklären. Sie sollte Lösungsvorschlägen, die über Wahlperioden hinausgehen, Raum geben, gerade auch den Ideen der Jugend. Und sie muss die Kraft und die Bereitschaft haben, Lösungen zu verfolgen, die auch dem globalen Gemeinwohl dienen.
Die gute Nachricht ist: Den politischen Rahmen für die globale Perspektive gibt es schon – es sind das Pariser Klimaabkommen und die Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, beschlossen von den Staats- und Regierungschefs dieser Welt im Jahr 2015. Diese Vereinbarungen setzen klare politische Ziele: vor allem für die Überwindung von extremer Armut und Hunger in der Welt und für Gesundheitsversorgung, Bildung und lebenslanges Lernen für alle Menschen; für den Schutz der Meere und den entschlossenen Kampf gegen die Erderwärmung. Damit ist auch klar, dass sich im Grunde alle Länder als Entwicklungsländer verstehen müssen, weil es Veränderungsbedarf gibt im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen. Wir leben unwiderruflich in einer interdependenten Welt.
Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen und der Pariser Klimavertrag sind die strategische Alternative zu einer Welt des Zerfalls, wie sie uns heute droht. Sie setzt auf Zusammenarbeit und Partnerschaft. Sie setzt auf die Erkenntnis, dass die Menschen des Planeten Erde in einem Boot sitzen, dass sie eine gemeinsame Biosphäre teilen. Der Klimawandel macht nicht Halt an Landesgrenzen. Und ich glaube, diese Erkenntnis wird auch Irritationen – etwa durch das Verhalten des US-Präsidenten – überleben. Aber es ist auch wichtiger denn je, die Vereinten Nationen als den legitimen Ort zu stärken, an dem die Nationen der Welt zusammenkommen, einen Interessenausgleich suchen, rechenschaftspflichtig sind und an gemeinsamen Lösungen zum Nutzen aller arbeiten. Die Vereinten Nationen sind der wichtigste Hoffnungsträger für eine bessere Welt.
IV.
Meine Damen und Herren,
hier im Ruhrgebiet ist Ihnen die Erfahrung des permanenten sich-Wandeln-Müssens vertraut. Vielleicht haben Sie damit anderen etwas voraus: nämlich genau dieses Bewusstsein, dass man auf das Erreichte stolz sein kann, aber sich nicht darauf ausruhen darf. Ich finde, mit „10 nach 10“ setzen Sie dafür ein gutes Zeichen.
Fürchten müssen wir nicht den Wandel, sondern die Zögerlichkeit oder gar den Unwillen, ihn zu gestalten. Ideen und Prozesse, die wir für die Große Transformation brauchen, sind schon in der Welt! Was wir jetzt brauchen, ist mutiges Handeln!
Ich danke Ihnen.