Für eine neue Kultur der Zusammenarbeit mit Afrika

Rede beim Afrika-Kongress der CDU/CSU-Fraktion
Deutscher Bundestag, Berlin, 16. März 2016



I.

Ich möchte zunächst der CDU/CSU-Fraktion zu dieser Konferenz gratulieren. Die allgegenwärtige Flüchtlingskrise verbraucht ja so viel politischen Sauerstoff, dass kaum Zeit und Kraft zu bleiben scheint, über andere, wichtige Themen nachzudenken. Das wäre im Falle Afrikas besonders verhängnisvoll, denn natürlich können und müssen wir Lehren aus dieser Krise ziehen, die auch unser Verhältnis zum afrikanischen Kontinent betreffen.

Doch lassen Sie mich zunächst etwas zur aktuellen politischen Lage sagen, die ja nach den Landtagswahlen am vergangenen Sonntag nicht gerade einfacher geworden ist: Ja, der derzeitige Zustand der Welt ist kompliziert, unübersichtlich und gibt wenig Anlass zu kosmopolitischem Optimismus. Insofern mögen die Renationalisierungstendenzen und die einfach gestrickten Identitätspolitiken, die derzeit allerorten aufflammen, emotional nachvollziehbar sein, weil sie eine Sehnsucht nach Klarheit bedienen. Sie sind aber politisch kurzsichtig und ökonomisch gefährlich. Wir können uns unsere Probleme nicht aussuchen; und wenn die Probleme komplex sind, dann gibt es auch keine einfachen Lösungen.

Dies gilt insbesondere in der Flüchtlingspolitik. Und deshalb möchte ich in aller Klarheit sagen: Ich halte den Weg der Kanzlerin, eine europäische Lösung zu finden, und eine Lösung, die den gegenseitigen Abhängigkeiten auf der Welt Rechnung trägt, für richtig. Sie ist richtig aus moralischer, ökonomischer und politischer Sicht. Geben wir dieser Lösung Zeit.

Es bleibt ja eine unbequeme Wahrheit: Kein Land kann sich abschotten von den Problemen in der Welt; und Deutschland, das seinen Wohlstand der Offenheit der Welt verdankt, schon gar nicht. Jedes Kind lernt irgendwann, dass man sich nicht verstecken kann, indem man einfach die Augen schließt. Die unwiderrufliche Interdependenz allen Geschehens im 21. Jahrhundert zwingt uns hinzuschauen, Verantwortung zu übernehmen, und unser Wohl nicht auf Kosten anderer zu suchen, weil sonst die Probleme irgendwann zu uns zurückkommen wie ein Bumerang, mit doppelter Wucht.

Womit wir schon mitten im Thema wären. Wie schauen wir eigentlich auf Afrika?

Vielleicht lohnt es sich, noch einen Moment bei der Flüchtlingskrise zu bleiben und zu untersuchen, wie diese Krise unseren Blick auf Afrika beeinflusst, und unser Sprechen von Afrika.

II.

Zunächst ist eine Differenzierung nötig, und zwar die zwischen Flucht und Migration. Dass wir in Deutschland oft beides in einen Topf werfen, das ist nicht einfach eine sprachliche Schludrigkeit, sondern ist Ausdruck einer jahrzehntelangen Weigerung, eine der Realität angepasste Einwanderungspolitik zu machen. Die Quittung zahlen wir jetzt: weil wir uns nie um ein gesteuertes System legaler Migration gekümmert haben, drängen momentan alle, die nach Deutschland wollen, durch die kleine Türe des Asyls, obwohl diese nur für einen sehr beschränkten Personenkreis gedacht war. Nun gibt es ein Wort, das so tut, als würde es die Unterscheidung zwischen Flucht und Migration treffen: es ist das Wort des „Wirtschaftsflüchtlings“. Ich mag dieses Wort nicht, denn es führt uns auf eine falsche Fährte. Es schwingt nämlich ein moralisches Urteil darin mit, und es wirkt damit wie ein Zauberwort, das uns von jeglicher Verantwortung für den sogenannten Wirtschaftsflüchtling freizusprechen scheint. Doch das moralische Urteil ist fehl am Platz. John Kenneth Galbraith schrieb (1979): „Migration ist die älteste Handlung des Menschen gegen Armut“. Unsere Vorfahren in Deutschland und Europa haben dies ausgiebig beherzigt – zu Beginn des 20. Jahrhunderts wanderten jedes Jahr über 1 Million „Wirtschaftsflüchtlinge“ von Europa in die USA aus. Und es gäbe die gesamte Menschheit nicht, hätten nicht vor 50.000-60.000 Jahren die ersten Migranten den Mut gehabt, Afrika zu verlassen. Migration war immer auch ein Haupttreiber von Innovation. Verstehen Sie mich nicht falsch: das ist kein Plädoyer gegen Steuerungsmechanismen in der Einwanderungspolitik, im Gegenteil. Aber wir dürfen Migration nicht grundsätzlich verteufeln. Wir müssen vielmehr die wachsende Armutsmigration als dringenden Hinweis darauf verstehen, dass die extremen Ungleichheiten zwischen den Ländern und Kontinenten langfristig keinen Bestand haben dürfen, haben können. Das Label „Wirtschaftsflüchtling“ mag uns also von der humanitären und asylrechtlichen Verantwortung befreien, aber es zwingt uns umso mehr in die politische Verantwortung.

Erlauben Sie mir, noch ein zweites Wort zu nennen, das ich nicht mag – und die Auseinandersetzung damit halte ich für wichtig, nicht weil ich semantische Haarspaltereien liebe, sondern weil auch dieses Wort uns auf die falsche Fährte lockt in unserem Verhältnis zu Afrika: „Fluchtursachenbekämpfung“.

Nanu, mögen Sie sagen, was kann man dagegen haben, gegen die Ursachen von Flucht vorzugehen? Natürlich nichts. Aber das Wort der „Fluchtursachenbekämpfung“ suggeriert, man müsse nur irgendwo vor Ort an ein paar Schräubchen drehen – ich sag mal salopp: einfach ein paar Brunnen bauen –, und alles wird gut. Wenn wir es ernst meinten mit der Fluchtursachenbekämpfung, dann brauchen wir eine neue große Transformation, die zum Ziel hat, allen Menschen auf diesem Planeten ein Leben in Würde zu ermöglichen, und zwar innerhalb der Grenzen des Planeten. Das braucht ein offenes Überdenken des Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells gerade in den Industriestaaten. Und es müssen auch international die richtigen strukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Entwicklungsländern bessere Chancen für wirtschaftliche Entfaltung zu geben.

Stattdessen klebt man das Etikett der Fluchtursachenbekämpfung nun einfach an die Entwicklungszusammenarbeit. Wir dürfen jedoch die EZ nicht für die Migrationssteuerung instrumentalisieren. Der Horizont der EZ muss ein langfristiger sein, und wenn wir so tun, als könne sie kurzfristig Migrationsströme stoppen, dann schüren wir nicht nur falsche Erwartungen, sondern argumentieren auch noch kontrafaktisch, denn wir wissen, dass Entwicklungsfortschritte oft Migration befördern, nicht verringern. Im Gegenzug kann Migration selbst auch ein Entwicklungsmotor sein. Allein nach Sub-Sahara Afrika, so schätzt die Weltbank, werden von den Diaspora-Afrikanern in diesem Jahr 34 Milliarden Dollar überwiesen.

Wenn wir unsere Kooperation mit Afrika gleichsetzen mit Entwicklungszusammenarbeit, und Entwicklungszusammenarbeit gleichsetzen mit Fluchtursachenbekämpfung, dann reduzieren wir Afrika auf ein Bedrohungspotenzial, dann senden wir ein fatales Signal der Arroganz und Distanz, das da lautet: „Unser Interesse an eurer Entwicklung dient nur dazu, uns eure Leute vom Leibe zu halten“. Eine solche Haltung kann aber keine Grundlage für jene tiefe Partnerschaft sein, die wir so dringend nötig haben.

Ähnlich wie der Begriff des „Wirtschaftsflüchtling“ zementiert also auch das Konzept der „Fluchtursachenbekämpfung“ eine Vorstellung von Oben und Unten. Hier setzt sich ein Mechanismus aus der Vergangenheit fort, den afrikanischen Kontinent vor allem über seinen vermeintlich defizitären Bezug zu Europa zu definieren. Genau dieses Unvermögen aber, Afrika als etwas Eigenes und für sich genommen Wertvolles zu betrachten, hat beigetragen zu vielen der heutigen Probleme.

Wir brauchen stattdessen einen frischen, unvoreingenommenen Blick auf Afrika, ein neues Sprechen über Afrika, frei von Eurozentrismus, voller Neugier und Offenheit für unseren Nachbarkontinent in seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit, seiner Chancen und seiner Herausforderungen.

Damit will ich nichts beschönigen oder sagen, dass alles gut ist mit Afrika, oder dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen. Selbstverständlich ist die Flüchtlingskrise ein lauter Warnschuss, dass unsere Ohren rasseln sollten. Denn sie legt offen, dass unser politisches Denken noch nicht wirklich im Zeitalter der internationalen Interdependenz angekommen ist, dass wir überfordert sind angesichts globaler Probleme, die sich um Landesgrenzen nicht scheren und nur durch internationale Kooperation lösbar sind. Diese Fähigkeit, unsere nationalen Interessen auch im Lichte eines globalen Gemeinwohls, im Sinne eines langfristigen, gemeinsamen Interesses zu definieren, ist kaum wichtiger als in unserem Verhältnis zu Afrika. Hier können und müssen wir unser globales Sensorium schärfen, eine neue Kultur der Zusammenarbeit entwickeln, denn nur gemeinsam mit Afrika wird Europa eine gute Zukunft haben können.

III.

Und die Herausforderungen sind in der Tat gigantisch. Schon heute leben über eine Milliarde Menschen in Afrika, viele davon in Armut und ohne Perspektiven auf ein selbstbestimmtes Leben. Die Bevölkerung wird sich bis ins Jahr 2050 wohl verdoppeln auf über 2 Milliarden Menschen – dann werden etwa 20% der Weltbevölkerung Afrikaner sein, nur etwa 5% Europäer. Sind wir uns im Klaren darüber, was das bedeutet, für unsere Ökosysteme, die Weltwirtschaft, die internationale Politik? Der Klimawandel – den ja nicht die Afrikaner, sondern v.a. die reichen Länder verursacht haben – und die einhergehende Wüstenbildung gefährden die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen. Und während in den letzten Jahren allerorten das Loblied auf den „Wachstumskontinent Afrika“ gesungen wurde, sehen wir jetzt mehr und mehr die Verwundbarkeit afrikanischer Volkswirtschaften: der Verfall der Ölpreise reißt riesige Löcher in die Haushalte etwa von Nigeria oder Angola, und viele Länder, die sich lange auf den Export von Rohstoffen verlassen haben und geschlafen haben bei der notwendigen Diversifizierung, erleben jetzt ein böses Erwachen, weil die Nachfrage sinkt und die Rohstoffpreise im Keller sind. Im politischen Bereich gibt es in einigen Ländern eine bedenkliche Autokratisierung. Glücklicherweise gibt es aber auch eine immer wachere Zivilgesellschaft, und Länder wie zuletzt Nigeria oder Tansania zeigen, dass professionelle und integre Regierungskabinette in Afrika ernsthafte Reformen angehen.

Afrikas größte Herausforderung aber – und gleichzeitig seine größte Chance – ist die Jugend. Etwa zwei Drittel der Afrikaner sind jünger als 35 Jahre. Und sie wollen das, was junge Menschen überall möchten: Lernen. Arbeiten. Mitreden. Leben. Laut Berechnungen des Internationalen Währungsfonds müssen in Afrika bis zum Jahr 2035 jedes Jahr 18 Millionen Jobs geschaffen werden, allein um die wachsende Jugendbevölkerung zu absorbieren. Das ist eine in der Geschichte der Menschheit beispiellose Aufgabe.

Ich möchte Ihnen die Geschichte von Thiat aus dem Senegal erzählen. Ich habe ihn vor wenigen Wochen am Rande der Berlinale getroffen, wo ein Dokumentarfilm über ihn und seine Hip-Hop-Gruppe Premiere hatte. Der Rapper Thiat und seine Kollegen haben mit ihrer Protestbewegung 2012 im Senegal dazu beigetragen, dass Präsident Wade, der zu einer dritten Amtszeit antreten wollte, vom Volk abgewählt wurde. Die Bewegung trägt den Namen „Y’en a marre“, frei übersetzt: „Wir haben die Schnauze voll“. Der wichtigste Slogan der Kampagne war „Deine Wählerkarte ist deine Waffe“. Wer sich mit Thiat unterhält, der trifft auf einen klugen, zornigen, kreativen jungen Mann, der nicht einfach hohle Forderungen an die Politik stellt, sondern der eine klare politische Philosophie des bürgerschaftlichen Engagements hat; der deutlich macht, dass die Revolution bei jedem einzelnen beginnen muss, dass ohne Eigenverantwortung, ohne Integrität, ohne Gemeinsinn der Menschen kein neuer Senegal, kein neues Afrika zu bauen ist. Der revolutionäre Rapper wettert nicht nur gegen die Korruption der Eliten, sondern kämpft auch erfolgreich gegen die Lethargie des Volkes.

Und mit Thiat stelle ich die vielleicht bedeutendste Frage für Afrikas Zukunft: Zu welcher Waffe wird die afrikanische Jugend greifen – zur Wählerkarte oder zum Gewehr? Die Antwort auf diese Frage ist entscheidend auch für eine gute Zukunft Europas, denn wenn hunderte von Millionen junger Afrikanerinnen und Afrikaner keine Perspektiven für ein Leben in Würde sehen, dann müssen wir auf unserem Nachbarkontinent mit neuen massiven Instabilitäten rechnen und mit Migrationsbewegungen, die die letzten Monate als Tröpfeln erscheinen lassen. Die vermehrten Terroranschläge wie erst vor wenigen Tagen in der Elfenbeinküste zeigen deutlich, dass die Destabilisierung afrikanischer Regionen und die Verführung der afrikanischen Jugend zur Strategie der Schlächter von Al-Quaida und anderen Terrorgruppen gehören.

IV.

Meine Damen und Herren,

um es ganz klar und ohne jede Ambivalenz zu sagen: Die Hauptverantwortung für die Zukunft Afrikas liegt bei den Afrikanern selbst. Afrika wird erst dann nachhaltig prosperieren können, wenn der Kampf gegen Korruption und Armut und für Rechtsstaatlichkeit die politische Kultur bestimmt. Ich bin mir sicher, dass Ramphele Mamphela und Mo Ibrahim, die sich beide auf ihre Weise um gute Regierungsführung in Afrika stark gemacht haben, uns gleich noch wertvolle Einschätzungen hierzu geben werden.

Und dennoch kommen wir um die Frage nicht herum: welche Waffe gibt eigentlich Deutschland und Europa der afrikanischen Jugend in die Hand? Wenn es um Afrika geht, dann scheint es mir, als stünde die Größe der Herausforderung in einem seltsamen Missverhältnis zu der Kleinmütigkeit unserer Antworten. Die Konsequenz kann doch nicht sein, nun einfach die Entwicklungshilfe aufzustocken. Ich habe natürlich nichts gegen mehr Entwicklungshilfe, aber wir müssen uns schon fragen: reicht das eigentlich aus? Können wir wirklich ein anderes Ergebnis erwarten, wenn wir einfach mehr vom gleichen bieten?

Wir brauchen eine große strategische Antwort, wir brauchen neues Denken in Afrika und bei uns.

Lassen Sie mich kurz ein paar Elemente dafür skizzieren:

Erstens: Die deutsche Wirtschaft mit ihrer starken industriellen Kompetenz ist der geborene Partner für Afrika, um dort die notwendige Diversifikation und Transformation der afrikanischen Volkswirtschaften voranzubringen. Dabei kann vor allem auch unser Mittelstand mit seiner Philosophie der lokalen Verwurzelung und sozialen Verantwortung eine tragende Rolle spielen. Ich freue mich, dass die deutsche Wirtschaft derzeit das Wachstumspotenzial des afrikanischen Kontinents neu entdeckt. Beispielhaft dafür steht ein neues großes Projekt für die Ausbildung von Elektrikern, Mechanikern und Mechatronikern, das der Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer und der nigerianische Unternehmer Dangote gemeinsam mit dem BMZ in Nigeria angepackt haben. Für eine kraftvolle strategische Wirtschaftspartnerschaft mit Afrika würde ich mir darüber hinaus wünschen, dass die Bundesregierung einen noch flexibleren Einsatz von Finanzierungs- und Garantieinstrumenten möglich macht.

Zweitens: In Afrika gibt es gute Pläne für arbeitsplatzschaffendes Wachstum und Armutsbekämpfung. Dazu gehören die regionale Integration und die Schaffung einer panafrikanischen Freihandelszone. Das volle Potenzial dieser Wachstumstreiber erschließt sich aber erst, wenn es den afrikanischen Volkswirtschaften erleichtert wird, sich auch in die internationalen Wertschöpfungsketten einzuklinken. Dem steht aber in wichtigen Bereichen immer noch die Agrar- und Handelspolitik der Industrieländer entgegen. Europa sollte sich zum Anwalt machen und auch vorangehen, dies zu ändern. Entsprechend sollten die Europäischen Partnerschaftsabkommen – und übrigens auch TTIP – daraufhin überprüft werden, ob sie den Aufbau einer afrikanischen verarbeitenden Industrie und eines dynamischen Dienstleistungssektors nicht eher erschweren als fördern.

Drittens: Bieten wir mehr jungen Leuten aus Afrika die Möglichkeit, für eine Zeit zu uns nach Deutschland und Europa zu kommen, zu lernen, zu studieren, zu forschen! Lasst uns massiv die Austauschprogramme ausbauen und die Stipendienmöglichkeiten hochfahren! Wo immer ich in Afrika junge Menschen frage, was sie sich von Deutschland und Europa wünschen, sagen sie: „Lasst uns zu euch kommen, wir wollen nicht eingesperrt sein in unserem Land, wir wollen von euch lernen, ein oder zwei oder drei Jahre, und dann zurückkehren und mithelfen, unser eigenes Land aufzubauen“. Begegnen wir diesem Wunsch nicht mit Kleingeistigkeit und Angst, sondern mit Offenheit, Großzügigkeit und der Freude, die ein Lehrer über den Lerneifer eines neugierigen Schülers verspürt.

Viertens: Legen wir unsere Arroganz gegenüber Afrika ab, lernen wir mehr über seine Geschichte, seine Wirklichkeit, seine Kultur. Lernen wir zu differenzieren. Und lernen wir mehr von Afrika. Ich sage das gerade auch hier im Parlament: Dieser Kontinent verdient die volle Aufmerksamkeit unserer klügsten Köpfe, er verdient Parlamentarierbegegnungen und Reisen und Dialoge noch viel stärker als bisher. Und er verdient einen gegenseitigen Lernprozess, ein übereinander lernen. Ich bin übrigens davon überzeugt, dass wir in diesem Prozess auch uns selbst besser verstehen lernen – was es bedeutet, Europäer zu sein, deutsch zu sein in dieser Welt der gegenseitigen Abhängigkeiten.

V.

Meine Damen und Herren,

ich weiß, dass die akute Krisenbewältigung zur Priorisierung zwingt, dass sie Ressourcen bindet – finanzielle Ressourcen, aber auch die Ressource der politischen Aufmerksamkeit. Aber ich weiß auch, dass genau dieser Mechanismus dazu führt, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem afrikanischen Kontinent immer wieder hinten runter fällt.

Deshalb: Richten wir jetzt unseren Blick auf Afrika, und zwar nicht trotz, sondern wegen der Krise! Weichen wir diesem Großthema des 21. Jahrhunderts nicht mehr aus! Haben wir den Mut zu großen Antworten, denn die Herausforderungen werden nicht kleiner.

Und hören wir bitte auf, Scheinlösungen zu produzieren, neue Mauern in unseren Köpfen und an unseren Grenzen hochzuziehen. Eine echte, langfristige Lösung der aktuellen Weltunordnung kann nur in einer Politik der Zugewandtheit zur Welt liegen, in einem Bewusstsein, wie sehr die Schicksale der Völker miteinander verknüpft sind. Das erfordert auch eine andere, ernstere, internationalere Wirtschaftspolitik, Handelspolitik, Umweltpolitik, Agrarpolitik, Verkehrspolitik, kurzum: eine Politik, die in ihrer Gesamtheit eine neue internationale Friedens- und Entwicklungspolitik ist.

Deshalb sehe ich in der Flüchtlingskrise auch eine Chance, dass wir aufgerüttelt werden aus unserer Wohlstandslethargie, dass wir eine neue Empathie entwickeln für die Menschheit als Ganze und eine neue Politik, welche sich lernend den großen globalen Herausforderungen stellt.

Eine europäisch-afrikanische Lerngemeinschaft könnte Großes erreichen.

Vielen Dank.