„Stil. Stärke. Storz.“ Sybill Storz
Buchvorstellung Dr. h. c. mult. Sybill Storz
Tuttlingen, 29. November 2019
I.
Uns führt heute ein neues Buch zusammen. Ein Sprichwort sagt: Auch Bücher haben ihre Schicksale. Zum Schicksal des Buches über die Firma Karl Storz und über Sybill Storz habe ich, glaube ich, ein wenig beigetragen. Im Mai 2014 führte mich Frau Storz durch das neue Besucher- und Schulungszentrum der Firma Karl Storz in Berlin. Unter ihrer Ägide war das 1869 gegründete, ehemalige Kaiserin-Augusta-Hospital wunderbar renoviert und bewahrt worden. Beim Rundgang fiel mir eine alte Fotografie von einem damaligen Krankenraum auf. Das Bild macht bewusst, wie lange an diesem Ort schon gelernt, gearbeitet, geforscht und geholfen wurde. Es lässt eine humane Tradition aufscheinen, in der seit nun schon mehr als zwei Generationen auch Storz steht: eine Tradition der Zuwendung zum Patienten und der Hingabe an die Aufgabe, nicht nur: zu helfen, sondern auch: immer besser helfen zu können. Der Blick auf das Foto war für mich ein Aha-Erlebnis, und ich sagte spontan: „Liebe Frau Storz, Sie sollten einmal sammeln und in Wort und Bild festhalten lassen, was Sie alle bei Storz geleistet haben.“ Auch das steckt nämlich voller Aha-Erlebnisse.
II.
Paradoxerweise gibt es Einsichten, die immer neu vermittelt und gewonnen werden müssen. Andernfalls scheinen sie allmählich zu verblassen und vergessen zu werden. Eine solche Einsicht lautet: Unsere Wettbewerbsfähigkeit ist auf Erfindungsreichtum angewiesen. Deutschland muss ein Land der Ideen bleiben, ein Land der Tüftlerinnen und Tüftler, der Gründerinnen und Gründer, weil wir nur dann im weltweiten Wandel auch künftig so erfolgreich sein können wie bisher. Verblasst diese Einsicht gerade? Droht sie in Vergessenheit zu geraten? Manch aktuelles Wirtschaftsgutachten gibt durchaus Anlass zu dieser Sorge. Die Produktivität in Deutschland wächst seit einigen Jahren langsamer, die Gründungs- und Wirtschaftsdynamik geht zurück, es wird weniger investiert, und vor allem in den Kleinen und Mittleren Betrieben, die das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft bilden und Weltmarktführer wie Storz hervorbringen, schwindet der Anteil der Innovatoren erheblich.
Das sind keine guten Nachrichten. Obendrein trübt sich die Lage der Weltwirtschaft ein, in die Deutschland stärker verflochten ist als die meisten anderen Länder: Das globale Wachstum verlangsamt sich, die Nachfrage aus dem Ausland sinkt, und die Volksrepublik China und die USA könnten in einen umfassenden Handels- und Technologiekonflikt schlittern. Er würde die Exportnation Deutschland zusätzlich schwer belasten.
Die deutsche Wirtschaft hat also im Inland an Schnellkraft verloren, und aus dem Ausland wirken Bremskräfte auf sie ein. Dagegen gibt es keinen Zaubertrank. Aber einiges lässt sich schon tun, damit wir weiter gut vorankommen. Nach außen ist es umso wichtiger, fest in der Europäischen Union verankert zu sein und mit vereinten europäischen Kräften für faire Regeln und ein friedliches Miteinander zu kämpfen. Im Innern ist es am wichtigsten, die Bereiche Bildung, Forschung und Innovation zu pflegen und zu stärken, denn sie sind die Treiber für die Umsetzung von Wissen in wirtschaftlichen Erfolg. Dafür brauchen wir ein exzellentes Bildungswesen, und dafür müssen wir die Duale Ausbildung hochhalten, um die uns die Welt beneidet. Handwerkliches Können und technische Meisterschaft sollten in höchstem Ansehen stehen, und es sollte möglichst leicht sein und sich lohnen, den Sprung in die unternehmerische Selbständigkeit zu wagen. Wir brauchen darum gute steuerliche Rahmenbedingungen für Unternehmen und für ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit, und wir brauchen eine Infrastruktur auf der Höhe der Zeit, von der Schiene bis zur Datenautobahn. Das alles erfordert deutlich höhere staatliche und private Investitionen als in den vergangenen Jahren.
Die erratische Politik von Präsident Trump und die neuen geopolitischen Spannungen weisen uns auf Risiken unserer hoch exportlastigen Wirtschaftsstruktur hin. Deutschland wird hoffentlich immer eine führende Exportnation sein, weil hoffentlich immer eine große internationale Nachfrage nach unseren Ideen und Produkten herrschen wird. Aber Exporte sind kein Selbstzweck. Es ist bis auf weiteres sinnvoll, mehr für den inländischen Gebrauch und Nutzen zu investieren und zu produzieren, weil es das heimische Potential stärkt und der nachhaltigen Lebensqualität in Deutschland dient. Die Umrüstung auf die Digitalisierung und auf eine klimaverträgliche Energieversorgung und Produktionsweise ist dafür ohnehin ein zwingender Grund. Doch ich glaube, dass uns die weltpolitische und weltwirtschaftliche Lage auch Anlaß sein sollte, tiefergehende Fragen zu stellen, zum Beispiel: Was sind die Gründe für den „backslash“ in der Globalisierung? Muss es nicht gerade jetzt das deutsche nationale Interesse sein, gemeinsam mit Frankreich das europäische Projekt wieder kraftvoll flott zu machen? Kann die „Schwarze Null“ angesichts der Notwendigkeit einer großen Investitionsanstrengung in Deutschland und in Europa noch adäquate Orientierung geben?
III.
Antworten auf diese und noch einige andere grundlegende Fragen verlangen von der Politik Bereitschaft zum Umdenken und Mut zur Entscheidung. Sie verlangen von der Wirtschaft das Überdenken von Marktperspektiven und ggfs. die Anpassung von Geschäftsmodellen. Echte Unternehmerpersönlichkeiten und gute Unternehmen beweisen gerade jetzt, dass sie sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen und neue Innovationskraft entwickeln. Ermutigung hierfür können Aha-Erlebnisse sein, wie sie auch die Medizingeschichte birgt und wie sie nicht zuletzt in den Firmengeschichten und Biographien von Unternehmerinnen und Unternehmern wie Sybill und Karl Storz zu finden sind. Das erste Gebäude des Kaiserin-Augusta-Hospitals in Berlin zum Beispiel war extra weitläufig, extra zugig und entsprechend teuer zu heizen gebaut, weil man noch glaubte, Wundinfektionen würden vor allem durch verseuchte Luft verursacht. Mit dem Fortschritt der medizinischen Erkenntnisse änderte sich dann auch die Architektur des Krankenhauses – der Fortschritt wurde auch baulich sichtbar. An den Lebensgeschichten der Familie Storz wiederum lässt sich ablesen, wie wunderbar viel sich erreichen lässt mit Können und mit dem Willen zur permanenten Verbesserung, mit Umsicht und Weltoffenheit, mit Gesprächsfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft, mit dem Willen zum Erfolg und dem Wunsch, diesen Erfolg immer auch dem Zusammenhalt in der Heimat zugutekommen zu lassen. Es lässt sich da auch sehr viel lernen über Lust und Leid der Selbständigkeit und über das anspruchsvolle Glück tätiger Freiheit.
In dem neuen Buch gibt es eine schöne Abbildung zum Thema Generationenübergang im Betrieb. Sie zeigt, wie als Staffelstab „storzgerecht“ ein Endoskop übergeben wird. Solche Übergaben sind nicht allein in Unternehmen nötig, sondern in ganzen Volkswirtschaften, denn auch sie leben von der Weitergabe von Wissen und Können. Wenn die, die nach uns kommen, genauer betrachten und bedenken, was und wie bis heute erreicht wurde, dann werden sie sich hoffentlich sagen: „Aha! So ist das also.“ Und dann wird es ihnen ein wenig leichter fallen, sich auch anzustrengen und durchzubeißen, sich immer neue Ziele zu setzen und gemeinsam mit anderen danach zu streben. Mögen sie dann auch irgendwann einmal zurückblicken und wie im Hause Storz zu sich sagen: „Das haben wir geschafft; das ist uns gelungen. Was unternehmen wir als nächstes?“
Liebe Frau Storz, Sie haben die Geschäftsführung der Firma Storz inzwischen an Ihren Sohn übergeben. Und wie ich es wahrnehmen kann, ist Karl Christian Storz darauf gut vorbereitet. Auch die Belegschaft der Firma wird dies mit großem Interesse verfolgt haben. Ich vermute, liebe Frau Storz, Sie werden auch in Zukunft Ihre Hände nicht in den Schoß legen. Und sich zum Beispiel darüber freuen, wenn es auch in der Zukunft fröhliche Treffen der weltweiten Belegschaftsfamilie Storz in Tuttlingen geben wird. Aber der „storzgerechte“ Stabwechsel sollte Sie – trotz neuer Herausforderungen für die Firma – vielleicht doch etwas ruhiger schlafen lassen. Das wünsche ich Ihnen jedenfalls. Und das verbinde ich mit meinem großen Respekt, und Bewunderung für Ihre unternehmerische Lebensleistung.
Danke Frau Doktor Storz und Glück auf Karl-Christian Storz.