Vier Thesen zu Afrika

Rede bei der Veranstaltung „Partnerschaft mit Afrika – alte Fragen, neue Chancen“
Hamburger Rathaus, Hamburg, 26. März 2015



Ich freue mich heute hier zu sein, und noch mehr freue ich mich, dass Sie alle hier sind, hoffentlich mit einer guten Portion Neugier auf Afrika. Ich muss zugeben: Berlin hält sich ja gerne mal für den Nabel der Welt, aber immer wenn ich nach Hamburg komme, dann habe ich das Gefühl, ein Stück Weltläufigkeit einzuatmen. Diese wunderbare Hafenstadt ist eben auch Tor zur Welt, und das spürt man bei den Hamburgern. Für den heutigen Abend ist Hamburg also das Tor zu: Afrika.

Jetzt muss ich noch etwas zugeben: es fällt mir nicht leicht, heute zu diesem Thema zu sprechen – „Partnerschaft mit Afrika“. Das liegt daran, dass ich gerade erst aus Namibia zurückkomme, wo am Wochenende 25 Jahre Unabhängigkeit und die Amtseinführung des neuen Präsidenten gefeiert wurden (die Bundeskanzlerin hatte mich gebeten, Deutschland bei den Feierlichkeiten zu vertreten). Und ich bringe einen großen Koffer so voller Eindrücken und Begegnungen mit, dass ich Ihnen am liebsten den ganzen Abend davon erzählen möchte – von der Fußballnationalspielerin, die durch den Sport zu einem selbstbestimmten Leben fand; von dem jungen Unternehmer, der sich zum Ziel gesetzt hat, in den nächsten 5 Jahren 500 Arbeitsplätze zu schaffen; von dem Ehepaar, zwei ehemalige Freiheitskämpfer, die 18 Jahre lang versucht haben, ein eigenes Stück Land zu bekommen, dies vor einem Jahr endlich geschafft haben und nun mit Unterstützung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit einer eigenen Farm nochmal ganz neu anfangen. Doch genau bei diesen Geschichten beginnt das Dilemma – denn ein ganzer Abend würde vielleicht gerade mal ausreichen, ein paar interessante Anekdoten und Erkenntnisse einer dreitägigen Reise weiterzugeben, wäre aber längst nicht genug, um dieses Land mit seiner bewegenden Geschichte inklusive unserer blutigen deutschen Kolonialvergangenheit wirklich zu verstehen. Und wenn es mir schon bei einem einzigen Land, von der Fläche her doppelt so groß wie Deutschland, schwerfällt, all das Wissenswerte, all die Lebensgeschichten, all die historisch-politischen Verflechtungen in einen kleinen Vortrag zu packen – wieviel schwerer ist es dann, über den gesamten afrikanischen Kontinent zu sprechen? Der legendäre, aus Polen stammende Afrika-Reporter Ryszard Kapuscinski hat einmal geschrieben: „Dieser Kontinent ist zu groß, als dass man ihn beschreiben könnte. Er ist ein regelrechter Ozean, ein eigener Planet, ein vielfältiger, reicher Kosmos. Wir sprechen nur der Einfachheit, der Bequemlichkeit halber von Afrika. In Wirklichkeit gibt es dieses Afrika gar nicht, außer als geographischen Begriff“.

Können wir wirklich in diesem einen Wort „Afrika“ zusammenfassen, was riesige Flächenländer wie die Demokratische Republik Kongo und Zwergstaaten wie Burundi umfasst, ressourcenreiche Küstenländer und ressourcenarme Binnenstaaten, Länder inmitten der Wüste und Inseln inmitten des Ozeans? Kann, jenseits der Geographie, unsere Idee von „Afrika“ wirklich die komplexe soziale und politische Realität dieses Kontinents erfassen? Die 20 Länder mit der größten ethnischen Diversität weltweit liegen ausnahmslos in Afrika. Kein Kontinent hat mehr Religionen und kein Kontinent mehr Sprachen als Afrika.

Meine Damen und Herren, die Ehrfurcht vor der Vielfalt dieses Kontinents muss unserem Sprechen über Afrika Demut lehren. Deshalb erlauben Sie mir, dass ich Ihnen heute Abend weniger ein zusammenhängendes, in sich geschlossenes Afrika-Bild präsentiere, sondern einige Fragmente von Gedanken und Einschätzungen, die ich in den letzten eineinhalb Jahrzehnten auf vielen Reisen durch Afrika und in unzähligen Gesprächen gewonnen habe. Ich möchte das in vier Thesen verdichten, aber bitte beachten Sie das dicke Ausrufezeichen hinter der Feststellung, dass ich die vielen Gesichter des Kontinents auch angesichts der Zeitbegrenzung nur lückenhaft und auch nur recht widersprüchlich skizzieren kann.

 

1. Am Schicksal der Jugend wird sich die Zukunft Afrikas entscheiden.

Lassen Sie uns ein kleines Gedankenexperiment machen. Stellen wir uns vor, die Bevölkerung Hamburgs würde sich innerhalb der nächsten drei Jahrzehnten verdoppeln. Zwei Drittel der Bewohner sind unter 30 Jahre alt. Was würde wohl in Hamburg passieren, wenn all diese jungen Menschen dauerhaft ohne Arbeit blieben, ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft? Ich möchte es mir lieber nicht vorstellen.

Für Afrika könnten diese Zahlen Realität werden, eine Verdoppelung der Bevölkerung auf über 2 Milliarden Menschen in 2050 ist wahrscheinlich (dann stellt Afrika 20% der Weltbevölkerung, Europa noch um die 5%). Schon heute lebt dort die größte Jugendbevölkerung in der Geschichte der Menschheit. Und diese Jugendlichen wollen das, was junge Menschen überall möchten: Lernen. Arbeiten. Mitreden. Leben.

An dieser Stelle wäre es ein leichtes, alarmistisch zu werden, Horrorszenarien zu malen, gar das unsägliche Wort der „Flüchtlingsströme“ in den Mund zu nehmen, als handele es sich nicht um Individuen auf der verzweifelten Suche nach Perspektiven, sondern um Horden von Fremden, die uns überrennen. Erlauben Sie mir ein differenziertes Bild. Das Risiko neuer, massiver Instabilitäten in Afrika müssen wir ernst nehmen. Schon heute zeigen uns ja Terrorgruppen wie Boko Haram in Nigeria oder Al-Shabbab in Somalia, dass es nicht schwer ist, frustrierte junge Menschen für ideologisch oder religiös aufgeladene Gewaltorgien zu gewinnen. Da frage ich mich manchmal schon, wo eigentlich unser großer strategischer Ansatz ist, den wir dieser realen Gefahr entgegensetzen.

Aber ich möchte nicht, dass die Jugend Afrikas für eine Neuauflage des Spiels „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ missbraucht wird. Ich möchte, dass wir vor allem das gigantische Potenzial sehen, das in dieser Jugend steckt. Ich habe es zu einer Gewohnheit gemacht, bei jeder Reise nach Afrika auch ein Gespräch mit jungen Menschen zu führen – über ihre Träume, ihre Frustrationen, ihre Ideen, ihre Wünsche. Und ich kann Ihnen sagen: diese Gespräche bewegen und beeindrucken mich jedes Mal aufs Neue. Das ist eine Mischung aus Kreativität und Pragmatismus und Pioniergeist und Überlebenswillen, auf die ich da immer wieder treffe, die mich fasziniert und auch ermutigt. („Ich bin ein pragmatischer Revolutionär“, sagte mir der junge Unternehmer, den ich eingangs erwähnte). Die große Frage ist also, ob es gelingt, diesen jungen Erwachsenen Perspektiven zu bieten, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Perspektiven, das heißt Bildung, das heißt Jobs, das heißt aber auch, die Chance zu haben, politische Entscheidungen mitzugestalten.

Es ist eine gigantische Herausforderung, vor der Afrika mit seiner Jugend steht, ökonomisch, politisch, kulturell. Und es gibt eine Reihe von Dingen, die wir dringend tun sollten, um unseren Teil dazu beizutragen, dass das nicht schief geht; Peter Krämer tut dies beispielhaft mit dem Bau von Schulen in Afrika und Hans-Jörg Schmidt-Trenz hat sich in einem Partnerschaftsprojekt der Handelskammer Hamburg mit Madagaskar zum Aufbau der dualen Berufsausbildung verdient gemacht. Ich will noch ein anderes Puzzleteil heute nennen: bieten wir mehr jungen Leuten die Möglichkeit, für eine Zeit zu uns nach Deutschland und Europa zu kommen, zu lernen, zu studieren, zu forschen! Lasst uns massiv die Austauschprogramme ausbauen und die Stipendienmöglichkeiten hochfahren! Wo immer ich in Afrika die jungen Menschen frage, was sie sich von Deutschland und Europa wünschen, sagen sie: „Lasst uns zu euch kommen, wir wollen nicht eingesperrt sein in unserem Land, wir wollen von euch lernen, ein oder zwei oder drei Jahre, und dann zurückkehren und mithelfen, unser eigenes Land aufzubauen“. Begegnen wir diesem Wunsch nicht mit Kleingeistigkeit und Angst, sondern mit Offenheit, Großzügigkeit und der Freude, die ein Lehrer über den Lerneifer eines neugierigen Schülers verspürt.

Ich freue mich, dass es hier und da wirklich Fortschritte gibt – die Stiftungsprofessur hier in Hamburg, von der wir heute noch hören werden, kann sicherlich einen Beitrag leisten (und Herr Professor Uhlig, meinen ganz großen Respekt für Ihr Engagement, auch für die tolle Enzyklopädie über Äthiopien); im Juni werden beim Lindauer Treffen der Nobelpreisträger mit 600 jungen Spitzenforschern der Welt zum ersten Mal auch 25 Afrikaner sein – Sie verzeihen mir sicher den Anflug von Eitelkeit, wenn ich verrate, dass diese Afrikaner dann „Horst Köhler Fellows“ genannt werden.

Am Schicksal der Jugend, meine Damen und Herren, wird sich die Zukunft Afrikas entscheiden, und wir sollten alles dafür tun, dass diese Zukunft gut verlaufen wird. Das sind wir nicht zuletzt auch unseren eigenen Kindern und Enkel schuldig.

Ich komme zu meiner zweiten These.

 

2. Afrika liegt in den Händen der Afrikaner.

Lassen Sie mich doch etwas zu meiner Namibia-Reise erzählen. Der scheidende namibische Präsident Pohamba hat, wie kürzlich bekannt wurde, den Mo-Ibrahim-Preis gewonnen. Das ist ein Preis der Stiftung des sudanesischen Milliardärs Mo Ibrahim für afrikanische Präsidenten, die sich mit guter, demokratischer Regierungsführung verdient gemacht haben – und, das ist der Clou, die ihre verfassungsmäßig beschränkten Amtszeiten eingehalten haben, also nicht nach zwei Mandaten mal eben die Verfassung ändern, um noch einmal zur Wahl anzutreten. Das Preisgeld besteht aus 5 Millionen Dollar. Warum erzähle ich das mit diesem Preis? Weil er dieses Jahr zum ersten Mal seit 2011 wieder vergeben wurde. Die Stiftung hat offensichtlich Schwierigkeiten, geeignete Kandidaten zu finden. Ich glaube, dass sich in den letzten Jahren durchaus einiges verbessert hat hinsichtlich demokratischem Wandel in Afrika, aber dennoch ist nicht zu übersehen, dass es noch zu viele in den politischen Eliten gibt, die vor allem ihren eigenen Vorteil verfolgen und alles andere als das Interesse des ganzen Volkes im Blick haben. Die aktuelle Flüchtlingskrise ist sicherlich kein Ruhmesblatt für die europäische Asylpolitik, aber sie zeigt auch deutlich, dass manche afrikanische Regierungen ihre eigenen Bürger nicht ernst genug nehmen und an keiner wirklichen politischen und wirtschaftlichen Teilhabe der breiten Bevölkerung arbeiten. Sie wissen, meine Damen und Herren, dass ich mich nicht scheue, die Versäumnisse in der Afrikapolitik Europas und des Westens zu kritisieren, aber ebenso deutlich sage ich: Afrika wird erst dann nachhaltig prosperieren können, wenn der Kampf gegen Korruption und Armut und für Rechtsstaatlichkeit zur echten Chefsache gemacht wird.

Auf der anderen Seite müssen wir dringend zur Kenntnis nehmen, dass das politische Selbstbewusstsein der afrikanischen Führungselite wächst, dass die Zeiten des unterschwelligen Minderwertigkeitskomplexes gegenüber den Europäern endgültig vorbei sind und dass wir längst nicht mehr die selbstverständlichen Partner sind, die wir einmal waren. Akteure wie Brasilien, Indien, die Türkei und vor allem China machen den Afrikanern attraktive Angebote. (Den neuen Präsidentenpalast in Windhuk haben übrigens die Nordkoreaner gebaut). Wir brauchen uns nicht zu verstecken und ich bin überzeugt, dass wir in vielen Bereichen die bessere Partnerschaft anzubieten haben – aber dennoch sollten wir uns daran gewöhnen, dass wir um die afrikanischen Partner werben müssen. Wer glaubt, ihm würde in Afrika der rote Teppich ausgerollt, um seine Weisheiten und Ermahnungen ehrfurchtsvoll lauschenden Afrikanern vortragen zu können, der hat noch nicht begriffen, wie viel Strahlkraft unser europäisches Modell eingebüßt hat. Wenn wir es schaffen, zu einer ehrlichen Einschätzung über uns selbst zu kommen, dann gewinnen wir auch wieder mehr Glaubwürdigkeit, um die Heuchelei afrikanischer Führungseliten offen anzusprechen.

 

3. Wir brauchen mehr Aufmerksamkeit für afrikanische Kunst und Kultur.

Bei dem Stichwort „afrikanische Kunst“ haben wir meist sofort ein Bild dazu im Kopf – von Masken vielleicht, oder von Tierzeichnungen mit dünnen Pinselstrichen, oder einfach von knalligen Farben. Bei „europäischer Kunst“ passiert uns das nicht – da würde unser Gehirn sofort zurückfragen: ist da jetzt französische, deutsche, italienische, holländische Kunst gemeint? Welche Epoche, welcher Stil, Michelangelo oder Matisse, Rembrandt oder Richter? Nein, jetzt will ich kein Klagelied über den Mangel an afrikaspezifischem kunsthistorischem Allgemeinwissen anstimmen, ehrlich gesagt bin ich da auch kein Experte. Aber mir fällt doch auf, dass wir afrikanische Kunst immer noch ins Ghetto der Ethno-Art stecken, dass ein Künstler aus Afrika vor allem Afrikaner ist, bevor er einfach Künstler ist. Ich war neulich auf einer beeindruckenden Ausstellung des Berliner Kunstlabors „Savvy Contemporary“, das versucht, die Kunstszene von ihrem Eurozentrismus zu befreien, und zwar nicht, indem es nun fremdländische Kunst überhöht, sondern indem es Kunst einfach Kunst sein lässt, indem es westliche und nicht-westliche Kunst nebeneinander- und gegenüberstellt und schaut, was passiert mit unserer Konzeption von „uns“ und „denen“.

„Warum reitet der Köhler jetzt plötzlich auf diesem Kunst-Dingens rum?“, mag sich der ein oder andere nun fragen, doch auch wenn ich mich gerne als Kunstliebhaber oute, so ist mir dieses Thema aus einem anderen Grund wichtig. Afrika befindet sich in einem kulturellen Selbstfindungsprozess, den wir aufmerksam und mit Neugier beobachten sollten. Kunst, Literatur, Film, Musik, Design entwickeln sich derzeit in unglaublich spannende Richtungen und sprengen unsere Vorstellung dessen, was „afrikanisch“ sein soll. Der Kontinent entdeckt seine eigenen Wurzeln neu und geht gleichzeitig spielerisch und kreativ etwa mit dem europäischen Erbe um. Diese künstlerischen Suchbewegungen, diese angstfreien Destruktionen und Konstruktionen von Identität, sind per se auch politisch, weil afrikanische Identität ja jahrhundertelang unterdrückt worden ist. Auch Kunst und Kultur sind somit Gradmesser und Katalysator für das Streben der Afrikaner, ihre Würde auf der Weltbühne wiederzugewinnen. Dies wahrzunehmen, sich daran zu reiben, vielleicht auch sich davon inspirieren zu lassen, kann einer ernst gemeinten Partnerschaft die nötige Tiefe und Reife geben.

Nachdem ich über die Jugend gesprochen habe, über die Politik, über die Kunst, fehlt natürlich noch ein Thema, das dem Ökonomen Köhler wichtig ist. Meine vierte und letzte These für den heutigen Abend lautet:

 

4. Die deutsche Wirtschaft hat in Afrika große Chancen.

Wenn Sie sich so lange im politischen Umfeld bewegt haben wie ich, dann ist manchmal nichts erfrischender, als ein paar Unternehmer in einen Raum zu setzen und miteinander reden zu lassen. Da werden die üblichen Floskeln schnell eingestampft und es wird Tacheles geredet. Das habe ich nun schon mehrmals erlebt bei Treffen von afrikanischen und europäischen Unternehmern, die ich in Cadenabbia (2012), Accra (2013) und Nairobi (2014) in unterschiedlichen Konstellationen zusammengebracht habe. Bei den deutschen Unternehmern stelle ich ein wachsendes Interesse an Afrika fest. Ich glaube, das liegt daran, dass sie dort noch echten Wachstumsbedarf sehen – echtes Wachstum, nicht das Pseudo-Wachstum der Finanzblasen auf den internationalen Finanzmärkten. In Afrika wird mehr von allem gebraucht: Schulen und Straßen und Krankenhäuser und Flughäfen und Kraftwerke und Produktionsanlagen und Dienstleistungen. Und tatsächlich ist dieser Investitionsprozess ja in Gang gekommen. Der Ausbau der Infrastruktur nimmt Fahrt auf, in manchen Ländern in atemberaubendem Tempo. Die Afrikanische Union hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil der Industrie an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung auf 25% zu heben (das schafft Arbeitsplätze!). In immer mehr afrikanischen Ländern entsteht eine Mittelschicht. Hinsichtlich der Nutzung von Informationstechnologie sind uns die Afrikaner teilweise sogar schon voraus. Das alles sind gute Zeichen und bieten gerade auch deutschen Unternehmen Chancen, an dem Wachstum zu partizipieren und gleichzeitig die afrikanische Wirtschaftsentwicklung voranzubringen. Dr. Reinhold Festge, der Präsident des Verbands der deutschen Maschinenbauer, dem größten Industrieverband Europas, sagte neulich: „In Afrika sehen wir erhebliches Wachstumspotential für unsere Mitgliedsunternehmen.“ Er weiß, dass dies auch Wohlstand und Arbeitsplätze bei uns sichert. Bei unseren Wirtschaftsgesprächen habe ich immer wieder festgestellt, dass die afrikanischen Unternehmer eine große Neugier haben, was die deutsche Mittelstandskultur angeht, mit seinem langfristig angelegten Unternehmertum, seiner lokalen Verwurzelung, seiner sozialen Verantwortung. Das ist ein Pfund, mit dem wir wuchern können. Und umgekehrt können die deutschen Mittelständler einiges von ihren afrikanischen Kollegen lernen – wie man mit Unwägbarkeiten umgeht etwa oder wie man regionale Märkte erschließt.

Natürlich fällt auf – und damit schließt sich der Kreis zu meiner Anfangsbemerkung – dass nicht „Afrika“ interessant für Investoren ist, sondern einzelne Länder oder Regionen in Afrika – Südafrika und Nigeria zum Beispiel schon allein wegen ihrer Größe, oder die Ostafrikanische Gemeinschaft, wo zwischen Kenia, Uganda, Tansania, Ruanda und Burundi die regionale Integration gut voranschreitet. Jeder Unternehmer muss ganz genau hingucken, wo die Bedingungen vor Ort für seine Branche, sein Unternehmen am besten sind. Aber dass sich dieses Hingucken lohnt und man viele gute Möglichkeiten finden kann, das steht außer Frage. Ich freue mich, dass sowohl der BDI als auch der Afrikaverein nun mit neuen Studien versuchen, die Chancen für die deutsche Wirtschaft in Afrika strategisch zu beleuchten. Es gibt ja zum Glück auch schon eine ganze Reihe guter Beispiele von Unternehmern, die etwas gewagt haben und nun vor Ort mit viel Ansehen bei der lokalen Bevölkerung Arbeitgeber und Innovationstreiber sind. In Namibia steht dafür zum Beispiel der Ulmer Zementproduzent Schwenk, der mit einer Rekordinvestition von 250 Mio. Euro das modernste Zementwerk Afrikas aufgebaut hat. Das ist in vielerlei Hinsicht vorbildlich, nicht nur weil dort hunderte von Arbeitsplätzen entstanden sind, sondern auch, weil sich das Unternehmen vor Ort um Ausbildung und umweltfreundliche Energieversorgung kümmert.

Meine Damen und Herren,
erlauben Sie mir zum Schluss noch eine kleine persönliche Bemerkung. Dass ich heute ausgerechnet zum Thema Afrika zu Ihnen spreche, das dürfte wohl kaum jemanden hier überrascht haben. Manchmal ist ja über mich zu lesen, Horst Köhler habe sein Herz in Afrika verloren. Das ist sicherlich in den meisten Fällen anerkennend gemeint. Und dennoch zucke ich bei diesem Lob oft innerlich zusammen – denn es hört sich ein wenig so an, als hätte ich mich in schöne Sonnenuntergänge und trommelnde Menschen in Afrika verliebt. Dabei erwächst mein Werben um mehr Aufmerksamkeit für diesen Kontinent vor allem aus einer sehr politischen Erwägung heraus: Afrika wird entscheidend sein für eine gute Zukunft der Menschheit im 21. Jahrhundert. Insbesondere für Europa birgt die Zukunft Afrikas die größten Risiken, wenn es schief geht – aber auch die größten Chancen, wenn es gut läuft. Ich glaube, dass wir deshalb auf allen Ebenen deutlich mehr investieren müssen in eine echte Partnerschaft mit Afrika – politisch, kulturell, ökonomisch, und natürlich, lieber Herr Professor Uhlig, auch wissenschaftlich.

Das alles sind strategische Überlegungen, die wir lieber früher als später anstellen sollten, sonst ist der Zug irgendwann abgefahren. Neben dieser strategischen Perspektive lohnt der Blick auf Afrika natürlich auch, weil es ein atemberaubend schöner und unglaublich kreativer Kontinent ist, gewiss voller Widersprüche und Paradoxe, aber immer für bewegende Überraschungen gut. In diesem Sinne freue ich mich sehr auf die weitere Diskussion heute – lassen wir uns überraschen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.