„Wägen und wagen“
Verleihung des Preises „Wissenschaftsstiftung des Jahres“ an die Friede Springer Stiftung
Berlin, 6. April 2020
Diese Laudatio sollte ursprünglich am 6. April 2020 anlässlich der Verleihung des Preises „Wissenschaftsstiftung des Jahres“ an die Friede Springer Stiftung gehalten werden.
Die Veranstaltung konnte wegen der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden.
Im Mittelalter wurden herausragende Stifter-Persönlichkeiten in Stein gemeißelt und im Dom aufgestellt – allerdings oft erst Jahrzehnte nach ihrem Tod. Heute werden sie glücklicherweise schon zu Lebzeiten für ihre Verdienste gewürdigt. In Ihrem Fall, liebe Frau Springer, nicht zum ersten Mal, aber erstmals für Ihre gerade einmal zehn Jahre alte Stiftung. Wie komme ich darauf? Nun, eines der ersten Förderprojekte der Friede Springer Stiftung galt just dem „Naumburger Meister“, der die berühmten Stifterfiguren im dortigen Dom geschaffen hat. Eine schöne Verbeugung vor den Leistungen unserer Vorfahren.
Inzwischen hat die Friede Springer Stiftung selbst Maßstäbe gesetzt – und „maßgeblich dazu beigetragen, dass viele neue, gute und unkonventionelle Ideen realisiert werden können“. So heißt es in der Begründung für die Auszeichnung als Wissenschaftsstiftung des Jahres. Und diesem Lob schließe ich mich aus vollem Herzen an. Bevor nun der Verdacht aufkommt, es könnte sich um Eigenlob handeln (schließlich bin ich selbst Mitglied im Stiftungs-Kuratorium): Gerade weil ich Friede Springer selbst so oft in unserer Zusammenarbeit erlebt habe, weiß ich: Der Erfolg ist allem voran ihr Verdienst.
Hier ist eine Stifterin am Werk, die weiß, wie wichtig Wissenschaft für ein rohstoffarmes Land wie unseres war und ist und deshalb einen klaren Schwerpunkt darauf setzt. Eine Stifterin, die Neugier, die Leidenschaft und Strenge miteinander verbindet. Eine, die gewissenhaft prüft und wägt, dann aber entschieden wagt. Neue, unkonventionelle Ideen kommen ja in der Wissenschaft oft nicht aus den etablierten Systemen, sondern von außerhalb. Sie brauchen Entdecker, die das Potenzial sehen, und Unterstützer, um sich bewähren und durchzusetzen zu können. Die Friede Springer Stiftung ist Teil dieses wichtigen Suchprozesses. Aus den vielen guten Ideen wählt sie die vielversprechendsten heraus und stattet sie – wie ein Wagniskapitalgeber – mit einem Vertrauensvorschuss aus.
So vielfältig und unterschiedlich die Förderentscheidungen der Stiftung erscheinen mögen – drei grundlegende Maßstäbe scheinen mir leitend zu sein:
Erstens: Bildung ist der Humus, auf dem Wohlstand und Wohlergehen unseres Landes gedeihen. Für den Einzelnen ist sie Voraussetzung für gerechte Teilhabe, für Mitsprache und Mitgestaltung in der Gesellschaft. Daran zu sparen, können wir uns eigentlich nicht leisten. Und dennoch tun wir es allzu oft. Die Friede Springer Stiftung hilft mit, Fähigkeiten zu entwickeln, von Anfang an. Ein Herzensanliegen ist ihr das Projekt „Haus der Kleinen Forscher“, das die Kleinsten an die großen Wunder von Naturwissenschaft und Technik heranführt. Auch mit ihren jährlich zehn Deutschlandstipendien an der FU Berlin (seit 2016) setzt die Stiftung (gemeinsam mit anderen privaten Geldgebern) einen solchen Akzent, indem sie vor allem Lehramt-Studierende in den MINT-Fächern unterstützt.
Zweitens: So wichtig High-Tech sein mag, so sehr unsere Zukunft in Laboren und an Computern entwickelt wird, so sehr wir neue Antriebe, Materialien oder Medikamente brauchen – das allein ist kein Garant für eine bessere Zukunft. Die wachsenden globalen Ungleichheiten, die Umwälzungen unserer Arbeits- und Lebenswelten, die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen – all das ruft nicht allein nach technologischen, sondern auch nach gesellschaftlichen Innovationen, nach mehr Kooperation und verantwortungsvollem, vorausschauenden Handeln. Auch hier legt die Friede Springer Stiftung neue Fundamente. Mit dem Lehrstuhl für „Unternehmensethik und Controlling“ an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg etwa hat sie beispielgebend gezeigt: Ethik kann und sollte nicht als Fußnote, sondern als Kernbestandteil moderner BWL gelehrt werden. Auch das Leipziger „Center of Advanced Studies in Management“, für das die FSS Doktoranden-Stipendien vergibt, stellt die Wirtschaftswissenschaft in den Dienst der Gesellschaft und forscht zu Nachhaltigkeit, Sharing Economy oder humanitärer Logistik. Die Stiftungs-Gastprofessur für „Medical Humanities“ an der Berliner Charité schließlich rückt die oft vernachlässigten sozialen, kulturellen, psychologischen, anthropologischen Dimensionen von Gesundheit in Mittelpunkt. Sie sind am Ende nicht weniger entscheidend als neue Medikamente oder technische Apparaturen. Ich bin deshalb auch sicher, dass wir viel hören werden vom neuen Schwerpunkt der Stiftung auf „komplementäre Medizin“.
Drittens: Fächer- und länderübergreifend forschen, den Knick in der eigenen disziplinären Optik erkennen, voneinander lernen – auch das ist ein roter Faden der Förder-Entscheidungen der Stiftung. Und auch das ist eine Voraussetzung, um die vor uns liegenden Herausforderungen zu bewältigen. Neben den schon genannten Beispielen denke ich an die Stipendien für die „Berlin-Brandenburg School for Regenerative Therapies“, wo Mediziner, Biologen und Ingenieure gemeinsam forschen. Oder an die Stiftungsprofessur für „Globale Kindergesundheit“ in Witten-Herdecke, die aus der – noch unüblichen – Perspektive der Kleinsten fragt, wie eine optimale Versorgung aussehen kann, und dabei nicht nur die Erfahrungen einer deutschen Großstadt einbezieht, sondern auch jene im ländlichen Malawi.
Wissenschaft und Bildung sind für Friede Springer Mittel zum Zweck. Sie sollen dienen – einer Gesellschaft, die es all ihren Mitgliedern ermöglicht, ein gutes, gesundes Leben zu führen und ihre Potenziale zu entfalten. Alle dabei zu erreichen, verlangt Anstrengungen, und ich bin froh, dass die Stiftung hier wichtige Impulse gibt. So wurde an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg mit einer Anschubfinanzierung die deutschlandweit erste Stiftungsprofessur für Taubblinden- und Hörsehbehinderten-Pädagogik eingerichtet. Endlich bekommt eine bisher übersehene Gruppe von Menschen die nötige Unterstützung.
Dies war ein Schnelldurchlauf und ein subjektiver zumal. Alle Projekte dieser letzten, an Entscheidungen reichen zehn Jahre zu erwähnen, würde den Rahmen sprengen. Es gäbe noch viel zu berichten, nicht zuletzt über die vielen guten Diskussionen im Kreis der Kuratoriumsmitglieder, die für mich schon oft Neues und Überraschendes gebracht haben – an dieser Stelle Ihnen allen Dank und ebenfalls Glückwunsch zur Auszeichnung des Stifterverbands und der Deutschen Universitätsstiftung! Aber die Zeit ist knapp und Friede Springer ein Mensch, der lieber nach vorne schaut als zurück.
Liebe Frau Springer, wer im Mittelalter eine Stiftung gründete, hatte wohl vor allem das eigene Seelenheil im Sinn. Davon zeugt schon der Standort der Stifterfiguren im Naumburger Dom. Heute üben Stifterpersönlichkeiten im Hier und Jetzt das schönste Privileg aus, zu dem eigenes Kapital befähigt: die Gesellschaft mitgestalten zu können und den Boden dafür zu bereiten, dass andere wachsen können. Danke, dass Sie die – für unsere Gesellschaftsordnung so fundamentale – Bindung von Freiheit an Verantwortung; von Eigentum an das Wohl der Allgemeinheit mit Leben füllen.