Welt im Umbruch: Afrika als Partner in einer Großen Transformation

Investment Fokus 2019 von Lupus Alpha Asset Management
Frankfurt am Main, 5. November 2019



I.
„Die Welt wird neu verteilt“, steht auf Ihrer Einladungskarte.
Und tatsächlich: Die Welt ist im Umbruch, die politischen, ökonomischen und demographischen Machtgefüge verschieben sich. Wir leben in einer Zeit voller Spannungen, Unsicherheit und, ja, auch Zerfall der alten Ordnung. Und wie das alles nicht nur die Anlagehorizonte, sondern auch die Lebensperspektiven von Milliarden Menschen verändert, das ist eine hochrelevante Frage. Es freut mich, dass auch Sie sich mit diesen Fragen befassen und deshalb bin ich heute gern hier zu Ihnen in die Alte Oper gekommen.
Von Frau Wohlfeil haben wir gerade gehört, es seien hier heute 230 Anlegerinnen und Anleger versammelt, die zusammen für rund 600 Milliarden Euro an Vermögen und Pensionsgeldern verantwortlich sind. Ich hoffe also, Sie davon zu überzeugen, dass es einen Kontinent gibt, der, wie Sie wissen, einst tatsächlich einfach so verteilt worden ist, und zwar unter den europäischen Kolonialmächten, und der heute unbestreitbar großes Potenzial hat, aber dringend mehr Investitionen bräuchte, und zwar sowohl finanzielle als auch politische. Aber der Reihe nach.
II.
In Ihrem Arbeitsfeld schlagen die globalen Unsicherheiten unmittelbar durch. Kann eine so lange, so superleichte Geldpolitik gut gehen? Wann erkennt der gegenwärtige amerikanische Präsident, dass Handelskriege am Ende allen schaden? Viele von Ihnen hier im Saal arbeiten dafür, Ihren Kundinnen und Kunden einen finanziell sorgenfreien Lebensabend zu ermöglichen. Manchmal denke ich: In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken. Gerade wer mit langfristigem Horizont Vermögen verwaltet, wird heute vielleicht immer verzweifelter nach Ankern für sicheren Ertrag suchen. Der IWF hat soeben gewarnt: Die Unternehmensschulden von acht großen Wirtschaftsnationen summieren sich derzeit auf über 50 Billionen US-Dollar – deutlich mehr als vor der letzten großen Finanzkrise. Auch die Auslandsverschuldung in Schwellen- und Entwicklungsländern liegt heute um 60 Prozent höher als damals. Welche Folgen da ein Einbruch der Weltkonjunktur haben könnte, brauche ich in diesem Saal wohl nicht auszubuchstabieren. Und auch nicht, wie sehr diese Konjunktur bereits jetzt schwankt. Die USA sind unter ihrem – milde gesagt – erratischen Präsidenten zu einer Gefahr für Weltwirtschaft und Weltfrieden geworden. China marschiert stramm in Richtung Autoritarismus und entzieht sich weiterhin vielfach dem so dringend erforderlichen „level playing field“. Und Europa? Sitzt eingeklemmt und irgendwie lavierend dazwischen, bräuchte dringend eine klare Strategie für den Umgang mit den geopolitischen Veränderungen – und verausgabt einen Großteil seiner politischen Kraft in der Abwehr des Zerfalls.
Da dürfte es kein Zufall sein, dass sich die Partner von Lupus Alpha Asset Management gewünscht haben, ich möge über Afrika sprechen. Der Kontinent gilt ja unter Investoren als „last frontier“, oder auch als letzte noch unerschlossene Aussicht auf ordentliche Renditen.
Ich gebe zu, ich bin bei solchen Einladungen etwas gespalten, und das hat mehrere Gründe: Zum einen kann es den einen „Afrika-Versteher“, den manche in mir sehen mögen, gar nicht geben, dafür ist dieser Kontinent nämlich viel zu groß und widersprüchlich und komplex. Zum anderen umweht diesen Begriff immer noch ein leichter Hauch von Exotik. China, USA, Russland, Europa – das sind die geopolitischen Blöcke, die in Ihrem Ankündigungstext aufgezählt sind, und das sind (so höre ich heraus) die eigentlich entscheidenden Player. Afrika taucht im zitierten Text als „Einflusszone“ auf, und könnte damit als politisches Objekt verstanden werden. Ich glaube hingegen, dass es in unserem wohlverstandenen Eigeninteresse liegt, Afrika als eigenständig handelndes, politisches Subjekt wahrzunehmen und mit unserem Nachbarkontinent gemeinsame Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Deshalb habe ich meinen Vortrag genannt: „Afrika als Partner in einer Großen Transformation“.
III.
Richtig ist natürlich: Machtpolitisch ist Afrika derzeit vor allem wegen seines Rohstoffreichtums wichtig. Ich glaube allerdings, dass der afrikanische Kontinent das 21. Jahrhundert vor allem wegen seines rasanten Bevölkerungswachstums prägen wird. Bis 2050, also in der Lebenszeit einer neuen Generation, wird sich die Bevölkerung dort auf 2,5 Milliarden Menschen verdoppeln. Dann wird jeder vierte Mensch ein Afrikaner sein, und nur noch jeder zwanzigste ein Europäer. Dann wird einer enorm gealterten europäischen Gesellschaft die größte Jugendbevölkerung aller Zeiten gegenüberstehen. Schon heute ist auf unserem Nachbarkontinent die Hälfte aller Menschen jünger als 18 Jahre. In Deutschland liegt das Median-Alter bei etwa 47.
Mit dieser afrikanischen Jugend wächst eine Macht heran, mit der zu rechnen ist, im Guten wie im Schlechten. Ich sage bewusst „Macht“, weil ich glaube, dass genau das die richtige strategische Kategorie ist, genauso, wie wir auch den Aufstieg Chinas oder die Digitalisierung als neue Machtfaktoren in der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts begreifen. Diesen jungen Menschen Perspektiven zu eröffnen, wird eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte sein. In meinen Begegnungen mit der afrikanischen Jugend – und dafür nehme ich mir auf meinen Reisen immer sehr bewusst die Zeit – habe ich sie als lernbegierig, offen und erfinderisch erlebt. Dank ihrer Smartphones wissen sie genau, wie es anderswo auf der Welt aussieht. Die wollen deshalb übrigens noch lange nicht per se nach Europa, sondern die pochen in erster Linie bei sich zuhause auf die Perspektive auf ein besseres Leben.
Gelingt es, sie zur transformativen Kraft auf dem Kontinent zu machen? Oder wächst hier eine „youth bulge“ heran, die sich in noch mehr Destabilisierung, Konflikten und Verzweiflung entlädt, als wir sie zurzeit schon erleben? Wird Afrika wegen seines Jugend- und Rohstoffpotenzials zu einem neuen Wachstumspol in der Weltwirtschaft? Oder machen Bevölkerungswachstum, Korruption und Klimakrisen allen Fortschritt wieder zunichte?
Die Antworten liegen zu allererst in Afrika selbst. Die Hauptverantwortung haben die Afrikaner und deren eigene politische und wirtschaftliche Eliten. Ich sehe vor allem drei gute Gründe für Zuversicht: Da ist erstens die enorme unternehmerische Kreativität; da ist zweitens ein wachsendes Bewusstsein, wie wichtig gute Regierungsführung ist; und drittens sehe ich auch in dem in Gang gekommenen Prozess der kulturellen Selbstvergewisserung einen wichtigen Baustein für Afrikas Zukunftsfähigkeit. Wohin die Reise geht, wird aber ebenso von Weichenstellungen außerhalb Afrikas abhängen. Auf die komme ich später noch zu sprechen.
IV.
In den Medien und in der Öffentlichkeit herrschen überwiegend noch die alten Afrika-Bilder von Hunger, Armut, Kriegen, Korruption; seit einigen Jahren ergänzt durch die Bilder afrikanischer Migranten, die von Rettungsschiffen aus auf europäischen Boden wanken. Es sind Bilder, die Mitleid erzeugen und bei noch mehr Menschen Abwehr. Mit der Angst vor einer Überflutung durch Migranten gewinnt man auch in Deutschland inzwischen Wahlen.
Die ökonomische Einordnung schwankte in den letzten 10 Jahren ebenfalls, mal hieß es „Lost Continent“, mal „Africa rising“; mal wurden die „Lions on the move“ gepriesen, dann wieder landete der Löwe – nach dem nächsten Verfall der Rohstoffpreise – als Bettvorleger. Das Gerede vom (wahlweise) Chancen- oder Krisenkontinent aber verstellt den Blick auf die komplexe Wirklichkeit.
Ein großes ermutigendes Ereignis liegt erst ein paar Monate zurück: 54 afrikanische Staaten haben sich mit der Unterschrift ihrer Präsidenten das Ziel einer „Africa Continental Free Trade Area“ (ACFTA) gesetzt. Diese wäre mit rund 1,2 Milliarden Menschen die größte Freihandelszone der Welt. Sicher, der Teufel liegt im Detail. Und wenn wir daran denken, wie schwer es ist, 28 EU-Mitglieder auf einen Nenner zu bringen, dann ahnt man, wie viel politisches Gezerre bei fast doppelt so vielen Ländern bevorsteht, die zudem in jeweils unterschiedlichen Regionalen Integrationsräumen organisiert sind. Aber: Die Vision der ACFTA ist ein starkes Signal für Afrikas Integrations- und politischen Aufstiegswillen.
Die entscheidende politische Kraft dahinter war übrigens der ruandische Präsident Paul Kagame, dem bei uns vor allem der Ruf des Autoritären anhaftet. Ich hoffe persönlich, dass er diese kritischen Stimmen wahrnimmt. Was man aber zugleich anerkennen muss: Er hat einen konkreten Plan, mit dem er die wirtschaftliche Entwicklung seines Landes vor allem auch durch die industrielle Verarbeitungskompetenz anstrebt. Er hat deshalb zum Beispiel einen Einfuhrzoll auf gebrauchte Textilien eingeführt, gegen den wütenden Protest der Amerikaner. Und seit kurzem wird in Ruanda das erste Smartphone „Made in Africa“ produziert, das „Mara“. Der Süddeutschen Zeitung war das einen Artikel auf der Seite eins wert – das fand ich gut, denn wir brauchen diese anderen Bilder von Afrika. Nur die Überschrift hätte ich mir anders gewünscht, statt (leicht herablassend) „Wo die Hoffnung wächst“ lieber: „Wo das Selbstbewusstsein wächst“. Dazu später mehr.
Die Europäer haben die neue Freihandelszone begrüßt. Sie sollten spätestens jetzt aber auch darüber nachdenken, wie sie etwa im Rahmen der europäischen „Economic Partnership Agreements“ (EPA) den Aufbau einer verarbeitenden Industrie in Afrika konkret unterstützen können. Denn seine volle Wirkung auf Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen kann die große Freihandelszone letztlich nur entfalten, wenn sie auch in Afrika die Diversifizierung der Volkswirtschaften und die Integration in internationale Wertschöpfungsketten voranbringt.
Dass der Wille und die Kompetenz dafür da sind, beweisen schon jetzt vielfältige unternehmerische Erfolgsgeschichten: Vom Selfmade-Milliardär Dangote etwa, der einst als Straßenverkäufer begann, heute in seinem Heimatland Nigeria über ein Imperium von Zucker, Zement und Zukunftsplänen verfügt und aktuell eine Öl-Raffinerie und eine Düngemittelfabrik baut, plus dazugehörigem Hafen und Kraftwerk. Oder vom Pionier der afrikanischen Telekommunikation, Mo Ibrahim, ein gebürtiger Sudanese, der vor 20 Jahren mit der Firma Celtel Afrika an die Mobilfunk-Zukunft anschloss.
Eine sehr erfolgreiche afrikanische Innovation ist das mobile Bezahlsystem M-Pesa: Vor zwölf Jahren in Kenia gestartet, heute weltweit im Einsatz. M-Pesa hat eine Vielzahl neuer Geschäftsmodelle ermöglicht (Solar-Stromversorgung für ärmere Haushalte etwa) und Millionen Menschen in Wirtschaftskreisläufe integriert. M-Pesa zeigt: Afrika kann Jahrhundertsprünge machen. Wozu ein Festnetz, wenn Mobilfunk reicht? Wozu nur große Kraftwerke, wenn off-grid-Solarstrom gerade die ländliche Bevölkerung günstiger und schneller versorgt? „Off-grid“ – das ist übrigens nur einer der vielen Trends in Afrika, den unsere deutsche Industrie verpasst hat, und der deshalb vor allem durch lokale Start-Ups umgesetzt werden musste.
Überall in Afrika sind vor allem junge Menschen dabei, genau jenen „missing link“ zu entwickeln und zu kommerzialisieren, mit dem ihr Kontinent direkt im 21. Jahrhundert anschließen kann. Die Kenianerin Juliana Rotich etwa, gerade vor zwei Wochen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Afrika-Preis ausgezeichnet, hat den „BRCK“ mitentwickelt – wie der Name schon ahnen lässt, ein ziegelgroßer, unverwüstlicher batteriebetriebener Kasten, mit dem man sich noch in den entlegensten Gebieten in den weltweiten Datenfluss einklinken kann. Mittlerweile wird „BRCK“ in 150 Ländern verwendet. In Kenias so genannter „Silicon Savannah“ arbeitet eine Vielzahl solcher Start-ups auf ihren Durchbruch hin. Aber auch anderswo entstehen Cluster, in denen eine technikaffine Jugend afrikanische Lösungen für einheimische Probleme ersinnt, daran bastelt und immer öfter auch findet.
V.
Wenn man sich die Liste der Länder anschaut, die sich in den letzten Jahren hoffnungsvoll entwickelt haben, also z.B. Ruanda, Ghana, Cote d’Ivoire, Tunesien oder auch Äthiopien, Marokko und Senegal, dann fällt zweierlei auf: Es sind vor allem Länder, die eine ausgeprägte eigene Vorstellung über ihren Entwicklungspfad haben. Und es sind vor allem Länder, die auf die Ressourcen in den Köpfen setzen statt auf jene in ihrem Boden: Sie weisen übrigens laut aktuellem Wirtschaftsausblick des IWF mit rund 6 Prozent auch derzeit noch ein robustes Wachstum auf. Auch der aktuelle „Doing Business“ Index zeigt, dass viele afrikanische Regierungen verstanden haben, worauf es ankommt, um Investitionen anzuziehen. Mauritius liegt nun neun Plätze vor Deutschland; Ruanda vor Portugal und Kenia vor Italien. Im Korruptionsindex von Transparency International liegt Botswana vor Polen und Namibia vor Italien. Das heißt nicht, dass es nicht immer noch viel zu viel schlechtes Regieren und Korruption gäbe. Aber es rückt manches Pauschalurteil in Perspektive.
Interessant ist auch, dass ein Afrikaner selbst, nämlich der schon erwähnte Mobilfunk-Pionier Mo Ibrahim, sich der genaueren Messung von guter Regierungsführung gewidmet hat. Dazu hat er mit wissenschaftlicher Expertise einen „good governance index“ entwickeln lassen. Er bewertet in vier Kategorien und vielen Unterkategorien die verschiedensten Aspekte dessen, was Bürgerinnen und Bürger von ihrem Staat erwarten dürfen: von A wie Anti-Korruptions-Mechanismen über Bildung, Gleichberechtigung, Schutz vor Gewalt bis Z wie Zugang zu sauberem Wasser und zur Justiz. Im letzten Jahrzehnt gab es klare Verbesserungen, wenn auch zuletzt verlangsamt. Noch offenbart dieser Index also überwiegend das Ausmaß der Missstände. Aber nur wo diese klar benennbar sind, können auch begründet Verbesserungen verlangt werden. Viele junge Leute in der afrikanischen Zivilgesellschaft nutzen das – oft mit großem persönlichem Mut.
VI.
Mit den Mittelschichten Afrikas ist auch das intellektuelle und kulturelle Selbstbewusstsein gewachsen, das Interesse an den eigenen Wurzeln. Zugleich wird auch außerhalb des Kontinents zunehmend wahrgenommen, wie viel kreative Spannung in Afrika herrscht. Auch in Deutschland wächst die Neugier auf afrikanische Schriftstellerinnen und Filmemacher, Designerinnen und Künstler, jenseits gepflegter Klischees.
Nigeria etwa, das Land des ersten afrikanischen Literatur-Nobelpreisträgers Wole Soyinka, hat eine Vielzahl von jungen, international gelesenen Autoren hervorgebracht, und was Chimamanda Adichie, Teju Cole und viele andere erzählen, öffnet die Augen für die rasanten und fundamentalen Umwälzungen, die diese Generation erlebt. „Lionheart“ ist der erste afrikanische Film, der weltweit über Netflix zu sehen ist – Auftrieb für Nollywood, die riesige nigerianische Filmindustrie. Man feiert euphorisch einen Film wie „Black Panther“ aus den kalifornischen „Marvel-Studios“, in dem ein afrikanischer König sein fiktives Reich Wakanda dank des ebenso fiktiven Supermetalls Vibranium zur technologisch führenden Nation gemacht hat. Man registriert aufmerksam, dass die amerikanische Sängerin Beyoncé gern Mode afrikanischer Designer trägt. Und man ist unbändig stolz, wenn – wie am vergangenen Wochenende geschehen – Südafrika im Finale der Rugby-WM die favorisierten Engländer (ausgerechnet die ehemalige Kolonialmacht also) besiegt, und zwar mit Siya Kolisi als erstem schwarzen Kapitän. Selbst aus bescheidenen Verhältnissen stammend, widmete Kolisi in seiner Dankrede den Sieg sehr bewegend auch den Armen im Land, den Obdachlosen, und Arbeitslosen. „Wir haben so viele Probleme in unserem Land, aber wir haben Südafrika gezeigt, dass wir alles erreichen können, wenn wir alle an einem Strang ziehen.“
In alledem wird eine Suche nach Identität sichtbar und Lust, die eigenen Debatten zu führen und eigene Utopien für den Kontinent zu entwerfen. Dass hier eine Generation auftritt, die nach ihren Wurzeln sucht und mit starkem Willen daraus etwas Neues wachsen lässt, das sollte auch uns freuen. Denn so können wir einander mit selbstbewusster Offenheit statt mit innerer Vorsicht oder sogar Abwehr begegnen. Das schafft die nötige Grundlage für den Aufbau echter Partnerschaften.
VII.
Fakt ist: Afrika geht neue Wege – und damit bin ich bei „Afrikas neuer Position in der Welt“. Viele afrikanische Intellektuelle und auch Regierungen reagieren heute fast allergisch auf den westlichen Entwicklungsbegriff. Sie suchen sich ihre Partner inzwischen selbst aus: China, aber auch Indien, Japan und seit neustem Russland – alle haben sie Angebote an Afrika. Zuletzt versprach der chinesische Präsident Xi Jinping 2018 beim China-Afrika-Gipfel weitere Investitionen und Anleihen in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar – in nur drei Jahren. Gewiss nutzt China sein Engagement in Afrika, um Rohstoffquellen zu erschließen und Überkapazitäten an Stahl oder Zement in Straßen, Brücken, Häfen und Eisenbahnen abzubauen. Aber Sie werden auch viele afrikanische Regierungschefs finden, die sagen: Wer hilft uns denn sonst dabei, die Infrastruktur aufzubauen, die wir so dringend brauchen? Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch als IWF-Chef mit dem damaligen ghanaischen Staatspräsidenten John Kufuor, der sagte: „China is an option“. Den relativen Bedeutungsverlust Europas kann man übrigens auch an den Anzeigetafeln des neuen Flughafen-Drehkreuzes von Addis Abeba ablesen: Inzwischen erreicht man die anderen Kontinente ganz ohne Umstieg in den Hauptstädten der alten Kolonialmächte.
Japan wiederum hat vor wenigen Monaten das Versprechen erneuert, innerhalb der kommenden drei Jahre mindestens 20 Milliarden US-Dollar in Afrika zu investieren. Und auch Russland baut seinen Einfluss aus: Vor zwei Wochen besiegelte Präsident Putin in Sotschi beim ersten russischen Afrika-Gipfel eine stattliche Anzahl von Rüstungs- und Kraftwerks-Deals mit afrikanischen Staatschefs. Dass darunter auch Pläne für die Nutzung der Atomenergie sind, etwa für Ruanda und Äthiopien, sollte uns nicht schockieren, sondern zum Nachdenken bringen: Sind unsere Angebote für bessere, nachhaltigere Alternativen eigentlich gut genug?
Viele afrikanische Regierungen wollen längst als echte Wirtschaftspartner angesprochen werden und nicht mehr als Hilfsempfänger, der bitteschön dann aber auch vorgegebene Auflagen erfüllen muss. Ich habe noch den beninischen Planungsminister im Ohr, der bei einer Veranstaltung im Entwicklungsministerium sagte: „Bringt mir lieber weitere zehn deutsche Firmen als zehn Prozent mehr Entwicklungsgelder“. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass afrikanische Regierungen sich aussuchen können, mit wem sie kooperieren. Entscheidend aber ist, dass nicht die größte „bribe“ über Investitionsprojekte entscheidet, sondern der nachhaltigste Gewinn für die Menschen in Afrika.
VIII.
Was bedeutet dies jetzt für uns?
Es ist zum einen ein Weckruf an Europa, an Deutschland: Wenn wir China nicht das Feld überlassen wollen, dann sollten wir die überzeugenderen Angebote entwickeln – und zwar Politik und Wirtschaft. Europa muss in Afrika einen echten strategischen Partner erkennen! Die Zeiten jedenfalls, in denen wir erwarten konnten, dass man sich mit Dankbarkeit an einem gönnerhaften Europa orientiert, sie sind endgültig vorbei. Längst befinden wir uns in einem neuen Systemwettbewerb, in dem die europäische Idee der liberalen Demokratie und sozialen Marktwirtschaft gegenüber dem chinesischen Modell des „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen für eine neue Ära“ von Staatspräsident Xi Jinping kein Selbstläufer mehr ist. Anders gesagt: Europa und Deutschland werden keine gute Zukunft haben, wenn Afrika nicht auf die eigenen Beine kommt. Den Wunsch der Afrikaner nach mehr wirtschaftlicher Kooperation sollten wir jedenfalls ernstnehmen, zu unser aller Gewinn.
Neue Ansätze sind da: Die EU will mit ihrem „External Investment Plan“ auch in Afrika mehr öffentliche und private Investitionen mobilisieren. Der „Compact with Africa“, vor zwei Jahren während der deutschen G20-Präsidentschaft angeregt, verbindet die Verbesserung der Rahmenbedingungen in afrikanischen Ländern mit gezielter Unterstützung, z.B. beim Ausbau der Energieversorgung oder eines funktionierenden Finanzsektors. Deutschland hat dazu besondere Reformpartnerschaften z.B. mit Ghana, Tunesien und Côte d’Ivoire vereinbart. Bundesminister Müller hat im Rahmen seiner Initiative für einen Marshallplan mit Afrika einen „Entwicklungsinvestitionsfonds“ angestoßen, um insbesondere den Aufbau eines afrikanischen unternehmerischen Mittelstands voranzubringen. Und dass heute in zwei Wochen zum zweiten Mal die afrikanischen Regierungschefs der „Compact with Africa“-Länder bei einer Wirtschafts-Konferenz in Berlin zusammentreffen, ist für mich ein Signal, dass wir endlich auch politisch mehr in den Kontinent investieren. Dass die deutschen Direktinvestitionen in die Compactländer in den letzten zwei Jahren sogar zurückgegangen sind, führe ich vor allem auf weltwirtschaftliche Unsicherheiten zurück. Wichtig ist dennoch, dass wir unseren Ankündigungen auch konkrete und wirksame Taten folgen lassen. Denn in der Umsetzung des Compacts und Marshallplans steht unsere politische und wirtschaftliche Glaubwürdigkeit gegenüber Afrika auf dem Spiel.
Noch nicht sicher bin ich, ob in Europa und auch in Deutschland schon hinreichend verstanden wird, dass Veränderungen in Afrika auch mit Veränderungen bei uns einhergehen müssen: in der europäischen Handelspolitik, Agrarpolitik und auch in unseren Anstrengungen, den Klimawandel zu begrenzen, der gerade Afrika so sehr trifft, das ihn so wenig mit verursacht hat. Die Transformation Afrikas wird nur in Wechselwirkung mit einer strukturellen Transformation Europas gelingen können. Bundesministerin Karliczek schrieb in einem Gastbeitrag im Handelsblatt jüngst, dass z.B. in Afrika durch Sonne und Wind erzeugter Wasserstoff Deutschland helfen könne, seine Klimaziele zu erreichen. Ja, richtig! Deutschland ist derzeit Weltmarktführer im Bereich „grüner Wasserstoff“ und Afrika der Kontinent, auf dem dieses enorme Potenzial in nachhaltigen Geschäften Entfaltung finden kann. Wir können und sollten diese Zukunftstechnologie also gemeinsam mit Afrika entwickelt. Damit das geschieht, müssen wir aber eben auch den Mut mitbringen, als „First Mover“ in Afrika aktiv zu werden.
Aber zurück zu Ihnen, meine Damen und Herren: Sie haben ja hoffentlich keine konkreten Anlagetipps von mir erwartet, sondern eine langfristig-strategische Einordnung. Und da sage ich: Wer langfristig-strategisch denkt, muss auf dem afrikanischen Kontinent ein enormes Wachstumspotenzial erkennen. Vielleicht, und das stelle ich jetzt mal bewusst provokant in den Raum, hat es sich die deutsche Wirtschaft etwas zu leicht gemacht, indem sie bisher vor allem auf die asiatischen Wachstumsmärkte gesetzt hat. Jetzt sind dadurch offenkundige Abhängigkeiten entstanden, die unternehmerische Freiheit einschränken könnten. Ich wünschte mir, die deutsche Wirtschaft würde den afrikanischen Kontinent jetzt tatsächlich als „new frontier“ für sich erkennen und bereit sein, den Kontinent wirtschaftlich zu erschließen.
IX.
Wenn ich höre „Die Welt wird neu verteilt“, dann wird mir – verzeihen Sie – etwas mulmig (da fällt einem ja gleich vor allem der Name eines aktuellen Präsidenten ein). Das klingt nach Nullsummenspiel, nach Kampf; der Gewinn des einen der Verlust des anderen. Sollten wir nicht viel mehr darüber nachdenken, wie wir diese Welt neu teilen lernen, wie wir zu unserer aller Gewinn auf diesem Planeten beitragen können, und mit „Gewinn“ meine ich nicht allein den Zugewinn an BIP, sondern an Lebensqualität, an Entfaltungsmöglichkeiten und Sinnhaftigkeit – im Leben und in der Wirtschaft?
Ich komme zu einer Asymmetrie, die dabei helfen kann: Im bevölkerungsmäßig schrumpfenden Europa lebt die reichste Rentnergeneration aller Zeiten, während in Afrika eine immer schneller wachsende Jugendbevölkerung immer ungeduldiger nach Perspektiven sucht. Da vagabundieren gigantische Summen an Geld um den Globus herum und suchen verzweifelt nach Rendite in immer riskanteren Finanzprodukten, während wir gleichzeitig in Afrika einen gewaltigen ungedeckten Investitionsbedarf der Realwirtschaft haben. Dort braucht es Investitionen an allen Ecken: in Schulen und Krankenhäuser, in Straßen und Wohnraum, Wasser und Energie.
Nicht Wachstumsblasen in einer selbstreferenziellen Finanzindustrie sollte das Geld erzeugen, sondern reales Wachstum, nachhaltiges Wachstum, in allen Dimensionen des Wortes. Den politischen Rahmen und wichtiger noch, die politische Legitimation dafür gibt es längst. Es ist die im Jahre 2015 verabschiedete Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Ihr Ziel ist es, allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen, ohne dabei den Planeten zu zerstören. Diese Agenda ist eine universelle. Sie beschreibt Veränderungsbedarf im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen – und damit beschreibt sie zugleich alle Länder als Entwicklungsländer.
Ich glaube, dass wir aus den bestehenden Unterschieden, aus den großen Asymmetrien auch einen Gewinn machen können, wenn wir bereit sind, gemeinsam zu suchen, zu lernen, zu teilen. Helfen auch Sie mit, herauszufinden, wie die Ersparnisse der reichen, alternden Gesellschaften des Nordens eine verlässliche Rendite bringen können in den jungen, investitionshungrigen Gesellschaften des Südens. Wann ist die Zeit für die Ausgabe von Infrastrukturbonds auch in Afrika gekommen? Vielleicht macht dann dem einen oder der anderen von Ihnen auch die eigene Arbeit sogar mehr Spaß. Vor allem wäre Afrika dann mehr als eine „Einflusszone“, die Welt würde nicht „neu verteilt“, sondern wir wären echte Partner in einer neuen großen Transformation, der sich niemand mehr entziehen kann, in der die Aktiven und Kreativen aber auch zu neuen Ufern kommen können. Deutschland sollte dazugehören. Vielen Dank.