Wüstenrot – Ein Ort und eine Idee mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft

100jähriges Jubiläum der Wüstenrot Bausparkasse AG
Wüstenrot, 10. September 2024



Als ich vor zwanzig Jahren, im Mai 2004, zum Bundespräsidenten gewählt wurde, zeichnete ich in meiner Rede vor der Bundesversammlung ein Bild von unserem Land, wie ich es mir vorstellte und noch immer vorstelle: „Deutschland – ein Land der Ideen.“
Damals wie heute sage ich: Deutschland als Land der Ideen bedeutet „mehr als das Land der Dichter und Denker, mehr als Made in Germany, mehr als typisch deutsche Tugenden“ und „ganz sicher etwas anderes als Großmannssucht und Selbstüberschätzung.“
Unser Land lebt und gewinnt, wo es Raum gibt für Neugier und Experimentieren, wo Kreativität gefördert und Lust auf Neues geweckt wird, wo wir Herausforderungen mutig begegnen und Rückschläge uns Ansporn sind, es beim zweiten Anlauf besser zu machen.
„Deutschland – ein Land der Ideen“: Das ist Vision und ein Auftrag zur Zukunftsgestaltung. Das ist aber ebenso gelebte Wirklichkeit und vielerorts schon dagewesen: in kleinen und großen Städten, großen und kleinen Dörfern.
Auf der Karte des „Landes der Ideen“ hat Wüstenrot seit 100 Jahren einen festen Platz. Das feiern wir heute! Und dabei wissen wir: Eine Idee allein reicht nicht. Neben Orten, an denen neue Einfälle und Gedanken das passende Klima finden, um sich entfalten, um wachsen und gedeihen zu können, braucht es kluge Köpfe, die Ideen mit Herzblut und Kraft zur Tat bringen.
Mit Wüstenrot und dem modernen Bausparen in Deutschland verbindet sich der Name Georg Kropp. Sein Wohnhaus nebenan, von den Einheimischen auch liebevoll „das Häusle“ genannt, beherbergt seit 1996 das Bauspar-Museum.
Nicht in Ludwigsburg, nicht in Stuttgart und schon gar nicht in Berlin, sondern hier in Wüstenrot, in diesem kleinen Ort im Mainhardter Wald, zwischen Lautertal und Brettachtal, fand eine kluge Idee zur rechten Zeit die idealen Bedingungen, um in die Tat umgesetzt zu werden. Hier traf mit Georg Kropp ein „Reingeschmeckter“ aus Pommern auf die in Franken nicht weniger als in Schwaben ausgeprägte Neigung zum Sparen und Bauen. Hier nahm 1924 die erste Bausparkasse Deutschlands ihren Geschäftsbetrieb auf.
Georg Kropp, 1865 als fünftes Kind eines Segelschiffkapitäns im Ostseebad Swinemünde geboren, hatte schon viele Umzüge hinter sich, bevor er im Dezember 1919 das „Häusle“ in der Haller Straße 3 in Wüstenrot bezog. In Stettin hatte er als junger Mann den Beruf des Drogisten erlernt. In Heidelberg studierte er als Gasthörer Chemie und Pharmazie. Während des Ersten Weltkriegs verfasste er eine Kriegschronik. Später arbeitete er dann in Heilbronn als Vertreter und Werbetexter für Arzneimittel. Georg Kropp gehörte – man höre und staune – zu den Gründungsmitgliedern der „Deutschen Gesellschaft für Pilzkunde“. Er war überzeugter Abstinenzler und engagierte sich als methodistischer Laienprediger. Als er im Alter von 54 Jahren nach Wüstenrot kam, war er reich an Lebens- und Berufserfahrung, überzeugt von tätiger Nächstenliebe und verfügte nicht zuletzt über eine gute Portion Selbst- und Sendungsbewusstsein.
Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (wie sie der US-amerikanische Diplomat und Historiker George F. Kennan nannte), begann für Georg Kropp und eine ganze Generation in Europa ein neues Kapitel im Leben. Hier trifft der Begriff „Zeitenwende“. Schätzungsweise 17 Millionen Leben kostete der Krieg. Weit über das massenhafte Sterben an den Frontlinien hinaus dauerten seine Folgen für die Menschen in Europa an. Und doch: Mit dem Ende der alten, von Monarchie und Obrigkeitsstaat geprägten Ordnung, begann in der Tat eine neue Zeit.
Zu den großen Herausforderungen, denen hierzulande die junge Weimarer Republik zu begegnen hatte, zählte ein massiver Mangel an Wohnraum. Schätzungen zufolge fehlten in den Jahren zwischen 1918 und 1935 zwischen 700.000 und 1,5 Millionen Wohnungen. Die Ursachen für die Wohnungsnot lagen zum Teil in der kriegsbedingten Zerstörung von Gebäuden und in der ausbleibenden Schaffung von Neubauten während der Kriegsjahre. Es fehlte aber auch an Arbeitskräften und Baumaterialien und nicht zuletzt am Kapital zur Finanzierung des Wohnungsbaus.
Georg Kropp sah die Not im Land. Und ihm war bewusst, dass der Mangel an Wohnraum sozialen Sprengstoff bedeutete. Inspirierend war für ihn die Lektüre von Upton Sinclairs Bestseller „The Jungle“. In diesem US-amerikanischen Roman aus dem Jahr 1906 werden die Lebensbedingungen von Schlachthofarbeitern und ihrer Familien aus Chicago schonungslos offengelegt. Erzählt wird unter anderem von einer mittellosen Familie, die über eine Bauspargenossenschaft – eine „Building and Loan Association“ – versucht, sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen. Auch wenn Sinclairs Geschichte kein „happy end“ kennt, ließ Kropp offenbar die Idee nicht los, dass auch für einfache Leute die Erfüllung des Wunsches vom eigenen Haus möglich ist. Voraussetzung dafür ist der Rückhalt einer starken Gemeinschaft gleichgesinnter Sparer.
Die Idee des Bausparens spezifizierte Georg Kropp dann in seinem 1920 erschienen Buch mit dem Titel „Aus Armut zum Wohlstand“. Darin wirbt er sehr konkret für eine gemeinnützige „Gemeinschaft der Freunde“. Sie solle überparteilich und überkonfessionell allen, die sich ihr anschließen, „helfen […], die schweren Zeitnöte zu überwinden.“ Ihr Hauptziel sei „ihren Gliedern in städtischen Gemeinschaftshäusern Wohnungen oder in städtischen, gartenstädtischen oder ländlichen Siedlungen Häuser, möglichst mit Gärten und Äckern zu verschaffen […].“
Den Schlüssel zur Linderung der Wohnungsnot sah Georg Kropp in „Hilfe durch Selbsthilfe“ (Georg Kropp). Seine Idee traf einen Nerv und fand in der Öffentlichkeit großen Anklang. Schon im Sommer 1921 kam es zur Gründung des Vereins „Gemeinschaft der Freunde“, der „die Schaffung von Wohngelegenheiten und Altersheimen“ als erstes Satzungsziel benannte. Diesem Ziel verschrieben sich Kropp und seine Freunde, die sich allesamt freiwillig und unentgeltlich, engagierten. Gemeinsam war Kropp und seinen Mitstreitern, dass sie der Not ihrer Mitbürger nicht tatenlos zusehen wollten, sondern fest daran glaubten, dass Abhilfe möglich ist. Mit Herz, Mund und Hand brachten sie sich ein: „Werke – nicht Worte“ und „Taten – nicht Tinte“ – so Georg Kropps Worte – waren gefragt.
Die „Gemeinschaft der Freunde“ war alles andere als ein Selbstläufer. Auch wenn das gemeinsame Ziel klar erkannt war, so wurde über die Wege dorthin und die richtigen Techniken des Bausparens mitunter kräftig gestritten. Für das Bausparen in Deutschland gab es keine Blaupause und erste Erfahrungen aus dem Ausland ließen sich mit Blick auf die prekären sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Land nicht eins zu eins übertragen.
Georg Kropp gelang es schließlich aber im Februar 1924 seine Vereinskameraden in einem (natürlich alkoholfreien!) Speiselokal von der Idee des kollektiven Bausparens zu überzeugen. Kurz darauf wurde sein Haus in Wüstenrot zur Geschäftszentrale der neuen „Bausparkasse der Gemeinschaft der Freunde“.
Wenn man sich die Umstände der Gründung der Wüstenroter Bausparkasse vor 100 Jahren vergegenwärtigt, kann man über den Mut ihrer Initiatoren nur staunen. Die Hyper-Inflation des Vorjahres – Kropp sprach vom „Valuta-Teufel“ – wirkte 1924 noch nach. Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen waren alles andere als günstig für eine Unternehmensgründung. Und angesichts der Enge des Hauses von Kropp, in dessen Räumen sich anfangs weder ein Telefon noch eine Schreibmaschine fand, mag man eigentlich nur den Kopf schütteln.
Aber allen Widrigkeiten zum Trotz: Kaum war das Wüstenroter Werbeversprechen „Jeder Familie ein eigenes Heim“ in der Welt, ließ der erste Bausparer nicht lange auf sich warten. Es handelte sich um einen Eisenbahnoberinspektor aus Heidenheim an der Brenz, der am 7. April 1924 einen Bausparvertrag über die Summe von 12.000 Goldmark unterzeichnete. Auch wenn er mit meinem Vorgänger im Amt des Bundespräsidenten weder verwandt noch verschwägert war, ist mir sein Name – er hieß Johannes Rau – Verpflichtung genug, diese Festrede zu halten. Ich könnte aber auch auf Theodor Heuss verweisen, der Ende der 1950er Jahre den Bau seines Alterssitzes im Feuerbacher Weg, in bester Stuttgarter Lage auf dem Killesberg, über einen Bausparvertrag mit Wüstenrot finanzierte.
Schon die Bilanz des ersten Geschäftsjahres der „Bausparkasse der Gemeinschaft der Freunde“ kann sich sehen lassen: 916 Bausparer gab es da, von einfachen Arbeitern über Angestellte, Künstler, Lehrer und Beamte bis hin zu Ärzten und Pfarrern. Sie alle hatten mit einem beachtlichen Vertrauen in die Sache und nicht ohne Mut zum Risiko Verträge über 14,3 Millionen Goldmark abgeschlossen.
230 Mitarbeiter zählte die Bausparkasse Ende 1928 und es galt einen neuen Unternehmenssitz zu finden. Gegen den erklärten Willen des Gründers zog die Bausparkasse im April 1930 in ein neu errichtetes Verwaltungsgebäude in Ludwigsburg. Bei Einzug verwaltete man dort die Verträge von 45.500 Bausparern und kämpfte zugleich darum, im Strudel der Weltwirtschaftskrise nicht unterzugehen.
Die weitere Geschichte und Entwicklung der Wüstenroter Bausparkasse sei hier nur fragmentarisch skizziert:
Das Modell Wüstenrot trug auch nach der zweiten großen Zeitenwende im 20. Jahrhundert: Damals, nach dem Zweiten Weltkrieg, erlebte Deutschland eine Wohnungsnot ganz neuer Dimension. Bei Kriegsende waren über 2,2 Millionen Wohnungen zerstört, weitere zweieinhalb Millionen Wohnungen beschädigt. Millionen Geflüchtete und Vertriebene aus den ehemals deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße verschärften den Druck auf den angespannten Wohnungsmarkt. Die Wüstenrot Bausparkasse begegnete mit ihren Produkten Wohnungsmangel und Heimatlosigkeit gleichermaßen. Zu Beginn der 1950er Jahre zählte sie bereits 135.000 Bausparer.
Ab 1952 förderte die Bundesrepublik die private Eigentumsbildung und den Eigenheimbau durch das „Wohnungsbauprämiengesetz“ und Einkommensteuervorteile. Dadurch setzte der Staat spürbare Anreize zur Bildung von Sparkapital für den in den Jahren des westdeutschen Wirtschaftswunders dringend benötigten Wohnungsbau. Es war eine lohnende öffentliche Investition!
Die Wüstenrot Bausparkasse war zu dieser Zeit längst nicht mehr allein, sondern konkurrierte mit anderen Wettbewerbern und neuen Finanzierungsprodukten. 1970 waren Bausparkassen an der Finanzierung von 60 Prozent aller fertiggestellten Wohnungen beteiligt. Die Idee des Bausparens hatte sich fest etabliert.
Wollte ich die ganze Geschichte der Wüstenrot Bausparkasse erzählen, würde dies den Rahmen meiner Rede sprengen. Zudem sind andere dazu besser berufen. Feststellen darf ich aber, was bei allem Wandel und aller Entwicklung unverändert geblieben ist: Der Name „Wüstenrot“ war stets, ist und bleibt Kern der Bauspar-Marke. Und ich finde es gut, dass sich die Wüstenrot Bausparkasse bis heute zu ihren Ursprüngen hier im Mainhardter Wald und zu ihrer Verwurzelung im Südwesten der Republik bekennt.
Die Idee des kollektiven Bausparens, eng verknüpft mit dem Geschäftsprinzip der solidarischen Selbsthilfe, ist in Wüstenrot und Ludwigsburg zu Hause und eroberte von Baden-Württemberg aus, das ganze Land. Heute hat die Wüstenrot Bausparkasse rund 2.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im eigenen Vertrieb, die im ganzen Land, von Süd bis Nord und West bis Ost, für Wüstenrot in Sachen Bausparen werben und beraten.
Das Wesen einer guten Beratung liegt dabei nicht im Verteilen von Prospekten aus der Konzernzentrale, sondern im Verständnis der Verhältnisse vor Ort: Wie ist die Situation der Kundinnen und Kunden in meiner Stadt und meiner Region? Was treibt und bewegt die Menschen hier beim Thema Eigenheimerwerb? Wie gestaltet sich ihre finanzielle Situation? Und wie ist die Lage in der regionalen Baubranche? Welche Besonderheiten sind zu beachten? Mit welchen Kosten ist zu kalkulieren? – Um diese und andere Fragen schlüssig beantworten zu können, muss man nah dran sein: an den heutigen und künftigen Bauherren und Immobilienkäufern, ebenso wie an den Unternehmen der Baubranche.

Ganz im Sinne von Georg Kropp dürfte es sein, wenn man bei der Unternehmenspräsenz in den Regionen nicht allein an den Wirtschaftsstandort denkt, sondern auch den Gesellschaftsstandort mitdenkt: Wer sich langfristig und beständig vor Ort engagiert, zur privaten Kapitalbildung ermuntert und beiträgt, der schafft die Voraussetzungen für eine dauerhafte Investitionsdynamik. Die Förderung des Sparsinns und der Vermögensbildung ist und bleibt deshalb eine wichtige Aufgabe und dies nicht nur wirtschafts-, sondern auch gesellschaftspolitisch.
Ich freue mich, dass die Wüstenrot Bausparkasse in ihrem jüngsten Geschäftsbericht auf die lange Tradition verantwortlichen Handelns und gesellschaftlichen Engagements ihres Unternehmens hinweist und dieses zugleich als „Kernbestandteil der strategischen Ausrichtung“ benennt. Ich lese das so: Stabilität, Langfristigkeit und Nachhaltigkeit werden für das Handeln der Unternehmensführung auch in Zukunft wegweisend sein. Gut so!
Von den deutschen Sparkassen sagte Ralph Dahrendorf einst, sie seien „eine Art Bindeglied zwischen Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Solidarität“. Dieses Urteil trifft auch auf die Bausparkassen in Deutschland zu. Denn mit ihrem Geschäftsmodell des kollektiven Bausparens und ihrem beständigen Werben für eine Kultur des Sparens schaffen sie eine wesentliche Grundlage für Investitionen in den Wohnungsbau. Und jeder solide Ökonom weiß: Sparen und Investieren sind für die Schaffung von „Wohlstand für alle“ (Ludwig Erhard) zwei Seiten einer Medaille.
100 Jahre Wüstenrot Bausparkasse: Nach meinem Urteil hat die Idee des Bausparens kein bisschen an Aktualität und Relevanz verloren. Zumindest dort nicht, wo sie – wie im Falle der Wüstenrot Bausparkasse – immer wieder auch mit Innovationsgeist beseelt, kontinuierlich neu erfunden und weiterentwickelt wurde.
Meine Damen und Herren, wir brauchen in unserem Land die Bereitschaft zum Sparen, denn wir brauchen mehr Investitionen! Und zwar: mehr private und mehr öffentliche Investitionen. Leider ist festzustellen, dass Deutschland dieser Aufgabe in den vergangenen zwei Jahrzehnten unzureichend nachgekommen ist.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft und das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung haben im Mai dieses Jahres den öffentlichen Investitionsbedarf in Deutschland für die kommenden zehn Jahre mit rund 600 Milliarden Euro beziffert. Diese gewaltige Summe ist nötig, um dem Sanierungs- und Modernisierungsstau bei Straßen, Brücken, Schienen, bei der Energieinfrastruktur und im Gebäudebereich zu begegnen.
Die Zurückhaltung bei öffentlichen Investitionen in den letzten zwei Jahrzehnten ist nicht mit schrumpfenden Steuereinnahmen zu erklären. Der Staat verfügt über ein hohes Steueraufkommen! Doch der vom Kieler Institut für Weltwirtschaft im Juli veröffentlichte Bundesausgabenmonitor zeigt, dass Sozialausgaben und Ausgaben für Umverteilungsbürokratie in diesem Jahr mehr als ein Drittel (35,4 Prozent) der Bundesausgaben ausmachen. Aber nur hinter 7,7 Prozent der Bundesausgaben vermuten die Wissenschaftler Staatsausgaben mit wirtschaftsförderndem oder wertschöpfendem Charakter. Dieses Ungleichgewicht steht in Spannung zu einer Sozialen Marktwirtschaft, die die Nachhaltigkeit sozialen Handelns durch wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit absichert.
Zuletzt entsprachen die öffentlichen Investitionen in Deutschland nur 2,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dieser Wert liegt unter der durchschnittlichen öffentlichen Investitionsquote in der Eurozone. In Frankreich werden knapp 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für öffentliche Investitionen ausgegeben, in Schweden sind es fast 5 Prozent. Die OECD fordert Deutschland in ihrem „Economic Outlook“ nachdrücklich auf, der Instandsetzung und Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur Priorität zu geben. Auch für die Bewältigung der ökologischen Transformation brauche es mehr Investitionen.
Ich bin überzeugt: Wenn wir unsere öffentliche Infrastruktur weiter auf Verschleiß fahren, geht dies massiv zu Lasten der Wohlstandsperspektiven unserer Kinder und Kindeskinder. Öffentliche Investitionen sind ein unverzichtbarer Beitrag zur Generationengerechtigkeit.
Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen, auch im Wohnungsbau. In den Großstädten und Ballungsräumen spitzt sich angesichts einer maßgeblich durch Flucht- und Migrationsströme verursachten Bevölkerungszunahme die Lage auf dem Wohnungsmarkt zu. Der Spitzenverband der deutschen Immobilienwirtschaft (ZIA e.V.) spricht von einem fehlenden Neubau von 400.000 Wohneinheiten im vergangenen Jahr und rechnet mit bis zu 700.000 fehlenden Wohneinheiten im Jahr 2025. Der Anteil an Wohnungen, die überbelegt sind, d.h. in denen die Zahl der Haushaltsmitglieder über der Zahl der Zimmer liegt, lag 2023 im städtischen Umfeld bei 16,6 Prozent. Das sind 6,2 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor.
Diese Zahlen stimmen alles andere als hoffnungsfroh und korrespondieren mit der Stimmung im Land. Es herrscht Wohnungsnot in Deutschland.
Nach einer aktuellen Allensbach-Umfrage hegen drei Viertel der Deutschen (76 Prozent) den Wunsch, im eigenen Haus oder der eigenen Wohnung zu leben, aber nur noch gut jeder Zweite (53 Prozent) glaubt, dass sich der Bau oder Kauf eines Eigenheims lohnt. Diese Einschätzung sollte nicht nur in der Bau- und Baufinanzierungsbranche, sondern auch in der Politik Besorgnis hervorrufen. Der Traum vom Eigenheim darf nicht in unerreichbare Ferne rücken! Denn wer sich den Wunsch nach einem Eigenheim erfüllen kann, profitiert nicht nur von einem Zugewinn an Lebensqualität durch einen an individuellen Bedürfnissen ausgerichteten Wohnraum. Der Bau oder Erwerb von Wohneigentum ist auch wichtiger Bestandteil der privaten Vermögensbildung und der Altersvorsorge.
Doch beim Thema Wohneigentum ist Deutschland Schlusslicht: Es nimmt innerhalb der EU den letzten Platz in der Statistik der Wohneigentumsquote ein: Weniger als die Hälfte (46,7 Prozent) der Haushalte leben hierzulande in selbst genutztem Wohneigentum. Bei unseren französischen Nachbarn sind es 63,4 Prozent, in Italien gar 74,3 Prozent.
Die öffentliche Förderung des Bausparens ist in Deutschland also nicht „outdated“. Im Gegenteil: Das Bausparen bietet nach wie vor eine kluge und krisenresiliente Möglichkeit zum Ansparen von Eigenkapital und zur Finanzierung des für den Wohnungsbau oder Hauskauf erforderlichen Fremdkapitals.
Die Spar- und Darlehensbedingungen bieten dabei heute eine Reihe von Flexibilisierungsoptionen, die den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bausparer gerecht werden.
Dass das Bausparen mit seinem auf langfristige Sparprozesse ausgerichteten Geschäftsmodell nicht für Ungeduldige taugt, betrachte ich nicht als Fluch, sondern als Segen. Ja: Sparen bedeutet Anstrengung und warten zu können. Aber diese Anstrengung und dieses Warten zahlen sich aus. Wenn die Deutschen manchmal auch als „Volk der Sparer“ Spott ernten, so darf doch nicht übersehen werden, dass in der Bereitschaft zum Sparen ein Garant für nachhaltige Wertschöpfung und Wohlstand liegt.
Das heißt dann aber auch: Es gilt die Kultur des Sparens zu pflegen und frühzeitig in die Köpfe der Menschen zu bringen. Daher begrüße ich sehr, dass hier in Baden-Württemberg das Pflichtfach „Wirtschaft und Berufsorientierung“ einen festen Platz in den weiterführenden Schulen hat. Der zugehörige Bildungsplan nimmt auch die Rolle von Geldanlegern in den Blick und formuliert als Lernkompetenzen: „Die Schülerinnen und Schüler können Möglichkeiten privater Finanzplanung erörtern (I) und den Interessenkonflikt zwischen den Kapitalmarktakteuren beurteilen (II). Sie können die Rolle von Geldanlegern auf dem Finanzmarkt bewerten und die rechtlichen Rahmenbedingungen des Anlegerschutzes überprüfen (III).“ – Wer die „Möglichkeiten privater Finanzplanung“ kennt, kann der Erfüllung eigener Ziele, Wünsche und Träume ein ganzes Stück näherkommen. Kompetenz im Umgang mit Finanzinstrumenten eröffnet Möglichkeiten und weitet den Raum, um eigene Ideen Wirklichkeit werden zu lassen.
Die Erfüllung des Traums vom Eigenheim ist und bleibt für viele in unserem Land ein ganz hohes Ziel. Oft bindet die Finanzierung über Jahrzehnte einen Großteil des Haushaltseinkommens. Viele andere Wünsche in der Familie müssen in dieser Zeit möglicherweise zurückstehen. Doch wenn das eigene Haus oder die eigene Wohnung dann bezogen werden kann, stellen sich Erleichterung, Freude und Stolz ein. Man feiert mit allen, die mitgefiebert haben, ob aus der Idee tatsächlich Wirklichkeit werden kann. Kaum aber sind die Umzugskisten ausgepackt, merkt man dann: Wir sind noch lange nicht am Ziel. Neue Ideen, neue Wünsche, neue Träume werden geboren. Ralf Bendix wusste davon vor sechzig Jahren (1964) ein Lied zu singen, das zumindest meine Generation in diesen Gefilden mitzusingen weiß:
„Schaffe, schaffe, Häusle baue
Und net nach de Mädle schaue
Und wenn unser Häusle steht
Da gibts noch keine Ruh‘
Dann dann sparen wir, dann sparen wir
Für ’ne Ziege und ’ne Kuh“
Wenn wir die Ziege und die Kuh heute verstehen als Interesse an Bildung, Digitalisierungskompetenz und start ups, muss sich für diese durch und durch schwäbische Natur niemand schämen. Im Gegenteil. Sie zeugt von Leistungs- und Investitionsbereitschaft. Hier in Wüstenrot ist erfahrbar, dass sich beides auszahlt. Gerade in Zeiten, in denen nicht alles rund läuft, in denen wir als Gesellschaft vor großen Herausforderungen stehen und immense Transformationen zu gestalten sind, sollten wir uns gegenseitig daran erinnern, was möglich ist, wenn wir guten, am Gemeinwohl orientierten Ideen zum Durchbruch verhelfen.
„Deutschland – ein Land der Ideen“ – Das ist unser Land. Gestern, heute und auch morgen. Dazu gehört Wüstenrot: der Name, der für die Idee des Bausparens steht. Ein Ort und eine Idee mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Ich gratuliere der Wüstenrot Bausparkasse, ihrem Vorstand und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu 100 Jahren gelebter Tradition im Zeichen solidarischer Hilfe durch Selbsthilfe. Ad multos annos!